Redakteur
Matthias berichtet
Von Robert G r n tz s ch
„Ja, liebe Kollegen", sagte der Re-
dakteur Matthias und klopfte de»
Pfeifentabak von der Weste, „die
Geschichte, die ich euch erzählen will,
spielte in einer verrückten Mittags-
stunde. In der Redaktion herrschte
Großkampftag. Ich mußte der Setz-
maschine einen Artikel über eine Rc-
gierungskrise zweiinal aus dem Rachen
reißen, weil einlaufende Telegramme
und Funkmeldungen das Bild fort-
gesetzt verschoben. Der richtige Schla-
ger für die erste Seite fehlte auch;
alles >var schon ein bißchen abgestanden.
Zwischendrein rückten Ringkämpfer an,
die sich durch eine Glosse beleidigt
fühlten. Ein alter Abonnent beschwerte
sich telefonisch über den Briefkasten
und wollte sofort wissen, wie weit
eine Ameise pro Stunde marschieren
kann. Aber den eigentlichen Schauder
hatte mir der Pimmel für die Mittags-
stunde aufgehoben, als die Zeitung
ziemlich fertig >var und nebenan, in
der Lokalredaktivn, eine kleine Ab-
normitätenschau geboten wurde.
Der Mefserummcl sollte am nächsten
Tag beginnen, die Schaubudennum-
mern zogen voir Redaktion zu Re-
daktion, um Lokalnotizen zu schinden.
Ich hörte einen Impresario durch die
Türe: „Marcile ist die größte Dame
der Welt. 2,50 Meter hoch. Ihr
Brustumfang-"
Schnell brüllte ich der Setzerei die
große Schlagzeile durchs Telefon,
dann sauste ich in die Lokalredaktion.
Mareiles Kopf thronte in der Pöhc
des oberen Türbalkens! Im übrigen
ein gut gebautes Riesenmädchen;
etwas wächsern das Ganze. Als sic
mir ihre Land wie aus den Wolken
reichte, verschwand die meine darin.
Strahlend schaute der schnurrbärtige
Impresario in der Runde: „Sic dür-
fen Mareile anfassen, >vo sie tvollen;
Mareile ist überall wie wir. Lleberall
großes Ebenmaß. Die berühmtesten
Professoren haben ihren Leib gemessen,
ihre Waden sind auch vom sportliche»
Standpunkte-"
Aber durch die Tür trappelte schon
eine andre Attraktion: die Zwerg-
Bilder aus dem dritten Reich
Zeichnungen von Julius ßo.senb a u m
Nicht Abc-Schützen, sondern gleich Revolver-
Schützen!
Pferde. Rührende kleine Dinger,
Doggengröße, ondulierte Mähnen.
Wie mochte das die Treppen rauf-
getrappt sei»? Der Redaktionsbote
tritt mich an: ein Perr wolle inich
sprechen; dringende Sache; er habe
das Munuskript gleich mit ..." „Er
soll die Schreibe hier lassen; wir geben
schriftlichen Bescheid."
Die Pferdchen machten viel Spaß,
tanzten auf zwei Beinen, stellten sich
auf deit Drehschemel, ließen sich Ka-
russell fahren; alles sehr neckisch. Wie
sollte das bloß wieder die Treppe
hinunterkommen? Die steile Treppe!
Wieder der Redaktionsbote: derMann
draußen müsse mich sprechen; eine
hochpolitische Aktion . . . Ihr kennt
das doch alle; Quatsch und nichts
dahinter. Mareile hatte grade zwei
Pferde im Ariu; die Riesin und
ihr Spielzeug. Dann stob der Trupp
durch die Tür, wir hinterdrein.
Den Tripp über die Treppe mußte
man gesehen haben. Im Gange ver-
tritt mir ein Mann den Weg: er
müsse mich sprechen, sofort, dringend-
unter vier Augen. „Es geht um
Deutschland, Perr Doktor, um
Deutschland!" Da klapperten die
Pferdchen schon die Treppe hinab.
Resigniert gehe ich in mein Zimmer;
er hinter mir drein, ein Manuskript
in der Land. Ich m ü s s e das lesen.
„Jawohl", sage ich, „morgen be-
kommen Sie Bescheid." Betrübt
schüttelt der Mann sein Paupt. Aber
ich bleibe hartnäckig. Kollegen, ihr
kennt doch deit Zinnober: Fängt man
an, soll inans zu Ende lesen. Fast
immer ist's Käse, aber die Leute
tvollen diskutieren, wollen sozusagen
ein Gutachten des Redakteurs., Streit
init dem Pauswirt, Zank um die
Wasserleitung machen sic zur öffent-
lichen Angelegenheit. — „Lesen Sie,
Perr Doktor! Es geht nur Deutsch-
land! Alles weitere steht im Manu-
skript!" Während er redet, scheint
sein Gesicht tinbetvcgt, starr zu bleiben.
Sonst: Augen grau, Nase gewöhnlich,
besondere Kennzeichen: keine. Alter:
ui» die Vierzig.
Der Bote legt inir den neuen Funk
auf den Schreibtisch. Ich werfe einen
Blick darauf. Große Entscheidungeu
auf dem chinesischen Kriegsschauplatz ..
Perrgott, das schmeißt die ganze erste
6
Matthias berichtet
Von Robert G r n tz s ch
„Ja, liebe Kollegen", sagte der Re-
dakteur Matthias und klopfte de»
Pfeifentabak von der Weste, „die
Geschichte, die ich euch erzählen will,
spielte in einer verrückten Mittags-
stunde. In der Redaktion herrschte
Großkampftag. Ich mußte der Setz-
maschine einen Artikel über eine Rc-
gierungskrise zweiinal aus dem Rachen
reißen, weil einlaufende Telegramme
und Funkmeldungen das Bild fort-
gesetzt verschoben. Der richtige Schla-
ger für die erste Seite fehlte auch;
alles >var schon ein bißchen abgestanden.
Zwischendrein rückten Ringkämpfer an,
die sich durch eine Glosse beleidigt
fühlten. Ein alter Abonnent beschwerte
sich telefonisch über den Briefkasten
und wollte sofort wissen, wie weit
eine Ameise pro Stunde marschieren
kann. Aber den eigentlichen Schauder
hatte mir der Pimmel für die Mittags-
stunde aufgehoben, als die Zeitung
ziemlich fertig >var und nebenan, in
der Lokalredaktivn, eine kleine Ab-
normitätenschau geboten wurde.
Der Mefserummcl sollte am nächsten
Tag beginnen, die Schaubudennum-
mern zogen voir Redaktion zu Re-
daktion, um Lokalnotizen zu schinden.
Ich hörte einen Impresario durch die
Türe: „Marcile ist die größte Dame
der Welt. 2,50 Meter hoch. Ihr
Brustumfang-"
Schnell brüllte ich der Setzerei die
große Schlagzeile durchs Telefon,
dann sauste ich in die Lokalredaktion.
Mareiles Kopf thronte in der Pöhc
des oberen Türbalkens! Im übrigen
ein gut gebautes Riesenmädchen;
etwas wächsern das Ganze. Als sic
mir ihre Land wie aus den Wolken
reichte, verschwand die meine darin.
Strahlend schaute der schnurrbärtige
Impresario in der Runde: „Sic dür-
fen Mareile anfassen, >vo sie tvollen;
Mareile ist überall wie wir. Lleberall
großes Ebenmaß. Die berühmtesten
Professoren haben ihren Leib gemessen,
ihre Waden sind auch vom sportliche»
Standpunkte-"
Aber durch die Tür trappelte schon
eine andre Attraktion: die Zwerg-
Bilder aus dem dritten Reich
Zeichnungen von Julius ßo.senb a u m
Nicht Abc-Schützen, sondern gleich Revolver-
Schützen!
Pferde. Rührende kleine Dinger,
Doggengröße, ondulierte Mähnen.
Wie mochte das die Treppen rauf-
getrappt sei»? Der Redaktionsbote
tritt mich an: ein Perr wolle inich
sprechen; dringende Sache; er habe
das Munuskript gleich mit ..." „Er
soll die Schreibe hier lassen; wir geben
schriftlichen Bescheid."
Die Pferdchen machten viel Spaß,
tanzten auf zwei Beinen, stellten sich
auf deit Drehschemel, ließen sich Ka-
russell fahren; alles sehr neckisch. Wie
sollte das bloß wieder die Treppe
hinunterkommen? Die steile Treppe!
Wieder der Redaktionsbote: derMann
draußen müsse mich sprechen; eine
hochpolitische Aktion . . . Ihr kennt
das doch alle; Quatsch und nichts
dahinter. Mareile hatte grade zwei
Pferde im Ariu; die Riesin und
ihr Spielzeug. Dann stob der Trupp
durch die Tür, wir hinterdrein.
Den Tripp über die Treppe mußte
man gesehen haben. Im Gange ver-
tritt mir ein Mann den Weg: er
müsse mich sprechen, sofort, dringend-
unter vier Augen. „Es geht um
Deutschland, Perr Doktor, um
Deutschland!" Da klapperten die
Pferdchen schon die Treppe hinab.
Resigniert gehe ich in mein Zimmer;
er hinter mir drein, ein Manuskript
in der Land. Ich m ü s s e das lesen.
„Jawohl", sage ich, „morgen be-
kommen Sie Bescheid." Betrübt
schüttelt der Mann sein Paupt. Aber
ich bleibe hartnäckig. Kollegen, ihr
kennt doch deit Zinnober: Fängt man
an, soll inans zu Ende lesen. Fast
immer ist's Käse, aber die Leute
tvollen diskutieren, wollen sozusagen
ein Gutachten des Redakteurs., Streit
init dem Pauswirt, Zank um die
Wasserleitung machen sic zur öffent-
lichen Angelegenheit. — „Lesen Sie,
Perr Doktor! Es geht nur Deutsch-
land! Alles weitere steht im Manu-
skript!" Während er redet, scheint
sein Gesicht tinbetvcgt, starr zu bleiben.
Sonst: Augen grau, Nase gewöhnlich,
besondere Kennzeichen: keine. Alter:
ui» die Vierzig.
Der Bote legt inir den neuen Funk
auf den Schreibtisch. Ich werfe einen
Blick darauf. Große Entscheidungeu
auf dem chinesischen Kriegsschauplatz ..
Perrgott, das schmeißt die ganze erste
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