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„Und was hast du denn in den zwei Paketen . . ?“
..Heu und Stroh . . .“ flüsterte es weizengelh.

„Im Kopf jedenfalls . . !“ wieherte der Pelz und
trommelte auf seinen Lebkuchen mit Oblaten den
Einzugsmarsch der Gladiatoren.

Die Agentenfrau rieb die gefrorenen Hände des
Mädchens, in die sich die Paketschnüre wie
Peitschenhiebe eingekerbt hatten, zu rosa Blüte
auf — und im Wagen wurde es Tausendkerzen-
stärken heller.

Aus den elektrischen Sicherungen sprangen violette
Blitze, und überm Wagendach ertönte eine leise
Melodie, als wäre plötzlich die Leitungsstange zur
Grammophonnadel geworden, die auf der Platte
des Himmels silberne Takte abspielte.

Alle Fahrgäste wurden gerührt wie ein Kuchen-
teig. Ein Herr verteilte an Minderbemittelte
Hustenbonbons. Die Eisblumen am Fenster wurden
Palmenzweige und wedelten in der Fahrtrichtung.
Als der Schaffner den nächsten Fahrschein ab-
geben wollte, wurde er in seiner Hand zu einem
Honigplätzchen. Sein Bart wuchs in der Minute
um Zentimeter — bis in seine Tasche mit Klein-
geld hinab.

„Ein Wunder . . !“ schrie eine Knopflochnäherin.
Und der Führer zog die Notbremse —- damit dieses
Wunder nicht unter die Räder komme.

Alle Jahre wieder
stellt sich der
ruhestörende
Lärm der Rund-
funk-Weihnachts-
programme ein!

Zeichnung von H. Rewald

Zeichnung von J u p o

Augenblicklich blühten im weizengelben Haar
des Mädchens haselnußgroße Sterne auf, und
ein Fachmann rief:

„Achtzehn Karat . . !“

„Nächste Haltestelle Bethlehem . . !“ sang der
Schaffner selbstverständlich, als würde er an
dieser Station schon seit zwanzig Jahren
anhalten.

Jäh wurden die Weihnachtsplakate über den
Wagenfenstern lebendig, und die Figuren
kletterten mit ihren angepriesenen Geschenken
an den Holzrahmen herab und verteilten
sich, wie ein Wohltätigkeitsbazar.

Da stieg kurz vor der Haltestelle der Kon-
trolleur in den fahrenden Wagen: „Fahr-
scheine vorzeigen . . . !“

Alle hielten aber Weihnachtsplätzchen in den
Händen. Nur die feine Dame mit den Glace-
handschuhen und der Herr im Pelz zogen
die Scheine aus ihren Brillantringen ab. Der
Kontrolleur, der schon seit Jahren in seiner
Familie einen Weihnachtsbaum verboten
hatte, weil er ein aufgeklärter Mann war,
und alles Mumpitz nannte, lächelte über-
einstimmend.

„Alles andere raus aus dem Wagen . . . !“
„Es ist doch heilige Nacht geworden . . .
Wunder sind geschehen . . . Sehen Sie doch
selbst, hier sitzt ein Engel . . .!“

„ . . . der auch keinen ordnungsgemäßen
Fahrschein besitzt. Da, das ist ja ein Heiligen-
bild'. . .“

„Tauet Himmel den Gerechten . .“ sang die
hintere Plattform.

„Hausieren und Singen verboten . . . !“
brüllte der Kontrolleur.

„Haltestelle Bethlehem ...“ rief der Schaffner.
DiB „So — aber jetzt alles raus, was ohne Fahr-

gutangezogene schein ist . . ! Nur die beiden Herrschaften

Frau dürfen weiterfahren . . .“ und fuhren über

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