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über den Schaden hinweg und sah den Schein des Himmels
wie Regenwasser durch das Loch einbrechen.

Der Engel am Kanapee begann zu summen.

Und plötzlich begannen in dem Goldrahmen an der Wand
die Amore, Blas-Engelein und flötenden Faune „Stille
Nacht . . mitzusingen . . .

„Nur nicht zu laut, sonst klopft der Hausherr mit dem
Schürhaken und beschwert sich . . .“

Draußen läuteten die Glocken durch die Mitternacht.

„So schön hat’s noch nie geklungen . . !“ rief die Frau.

der Engel verschwunden und die Platte zersprungen war.
„Die Flügel im Schirmständer . . !“ schrie die Frau,
nahm sie wie zwei frisch gestrichene Haustüren unterm
Arm und rannte dem Engel nach — —

Und sah, wie die Erscheinung flügellos in die erste
morgendliche Trambahn einstieg . . .

„Die Flügel stiften wir als Altartüren der Domkapelle . . .“
sprach Adolf.

Die Trambahn klingelte in der Ferne, wurde wieder näher,
bis die Glocke über ihrem Kopf hing . . .

Hände hoch!

„Schenierdich nich und
heb’ de Flossen hoch,
Maxe, — det is der
doppelte Hitler-Jruß!“

t iüiming von Karl Hol:/,

„Laß’ aber nur die Fenster zu, sonst fliegt er davon . . !“
„Geht nicht, . . „ich hab’ die Flügel im Schirmständer ver-
steckt . .“ flüsterte die Frau beruhigend dem Mann ins Ohr.
Inzwischen hatte das Engerl die Policen ausgefüllt, überall
„Mark“ durchgestrichen, und das Ehepaar gegen allen
irdischen Unfrieden versichert, und als Versicherungs-
summe himmlisches Wohlgefallen eingesetzt.

Der Agent schwankte vor Glück und Ueberraschung, daß
er nicht zu versichern brauchte -— sondern versichert
wurde. Er holte den photographischen Apparat vom
Kasten herab, um die Blitzlichtaufnahme zu machen —- wie
ein himmlischer Engel seine Policen ausfüllt. Das könnte
ihm geschäftlich groß von Vorteil sein . . !

Der Engel wurde in Positur gesetzt, das Blitzlicht fauchte
auf und als der Rauch sich verzog, sahen sie — daß auch

Der Aermel des Schaffners streifte Schneeflocken ins
Gesicht der Agentenfrau.

„Aussteigen . . !“ Teilstrecke ist abgelaufen . . . Wenn
der Kontrolleur kommt . . !“ — —

Bruchstsiickweise erwachte sie, hielt noch das Kleingeld
kalt in der Hand, das sie dem weizenblonden Engelein
gegeben hatte . . . stieg unsicher aus und wankte der
Auslage zu, wo die Christbaumspitze mit dem Wachsjesulein
auf Watte gebettet lag . . .

Da trat sie ein und kaufte das Wunder für achtundsechzig
Pfennige. — —

Vom Himmel schauten ein paar Sterne mit großen hung-
rigen Augen auf das festlich weiße Tischtuch der Erde
herab, über das die Agentenfrau heim zu ihrer Nacht
trippelte, die still und heilig war. — —

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