Gerhard Gleisberg S©nS0.tiOPI b©lm "T"©X^tiIkÖnjQ
Eine Arbeitlosensiedlung begegnet weniger Schwierigkeiten
als eine Erwerbslosensiedlung — und sieht erheblich ein-
drucksvoller aus. Die Villenvororte unserer Großstädte
erbringen den augenscheinlichen Beweis dafür.
Da gibt es parkartige Gärten, in denen ein einsamer
Gärtner 364 Tage des Jahres Ordnung hält und schafft,
damit am 365. Tage das traditionelle Gartenfest ungehindert
stattfinden kann. Da gibt es Säle, die mehr als hundert
Menschen aufnehmen können, die aber, von ein paar
„Gesellschaften“ im Winter abgesehen, nur dazu dienen,
das Dienstpersonal in Bewegung zu halten. Da gibt es
Gemälde alter Meister, auf die sich, solange das Fernsehen
verierte, was Herrn Wechselritt zu einer geglückten Börsen-
spekulation mit anschließender Fusionierung der besagten
Textilwerke veranlaßte -— und seit dieser Zeit führt Herr
Geheimrat Nehmer als Großaktionär den Ehrentitel „Textil-
könig“, Herr Bankdirektor Münzer ist Vorsitzender des
Aufsichtsrats der fusionierten Aktiengesellschatten, und der
Generaldirektor Wechselritt präsidiert dem Vorstand der
Unternehmungen bei wichtigen und feierlichen Anlässen.
Herr Wechselritt, zur Rechten der Geheimratsvilla ansässig,
ließ eines Tages in seiner schloßähnlichen Besitzung einen
Konzertsaal einrichten, mit 250 Sitzplätzen, null Stehplätzen,
einem Haupteingang für sich selbst und die Ehrengäste,
Zeichnung von St. S z i g e t ii y
Vom
nächsten Krieg
„Entschuldigen Sie,
meine Herren, ich bringe
nur die Gasrechnung!“
noch so unvollkommen ist wie heutzutage, kein sachverstän-
diger oder kunsthungriger Blick verirrt.
Und in einer solchen Arbeitslosensiedlung gab es neulich
eine vielbesprochene Sensation, eine ganz ungewöhnliche Dar-
bietung, wie der Kommerzienrat Anteiler, eine fabelhafte
Attraktion, wie die Filmschauspielerin Haarweh, eine ori-
ginelle Chose, wie der Botschafter a. D. von Frack zu Klack
versicherte. Denn alle diese Prominenten hatten die Sen-
sation als geladene Gäste im hochherschaftlichen Hause
des Geheimrats Nehmer, Dr. h. c. und Ehrenmitglied des
Golf- und Automobilklubs „Zeitvertreib“, besichtigen dürfen.
Zur Linken der geheimrätlichen Villa befindet sich die
sehr bemerkenswerte und geräumige Behausung des Bank-
direktors Münzer, zur Rechten die schloßähnliche Besitzung
des Generaldirektors Wechselritt. Die beiden Direktoren
sind Geschäftsfreunde des Geheimrats, insofern der Banken-
konzern, den Herr Münzer kontrolliert, das Vermögen des
Geheimrats in eine Reihe von Textilfabriken hineinmanö-
einem Nebeneingang für Kritiker und Musiker, einer Ehren-
loge für Generäle, Minister, Wirtschaftsführer und Fürst-
lichkeiten und einer vergoldeten Orgel zum Zwecke der
Kapitalsanlage. Es ist sehr verständlich, daß dieses gelun-
gene Unternehmen, das in weitesten Kreisen Anerkennung
und Bewunderung fand, Herrn Münzers Ehrgeiz nicht ruhen
ließ. Zeitgemäßer als Kunst ist Sport, sagte er sich, und
ließ auf seinem Grundstück eine Halle mit einem Schwimm-
bassin errichten, 100 Meter lang und 50 Meter breit, mit
komfortablen Zuschauertribünen und originellen Beleuch-
tungseffekten. Und das war es, was schließlich den Geheimrat
Nehmer dazu zwang, seine beiden Nachbarn mit einer
aufsehenerregenden, überraschenden, hochmodernen Anlage,
kurz gesagt, mit einer neuen Sensation in den Schatten
zu stellen.
Die Vorbereitungen hatten in aller Stille stattgefunden.
Als die Einladungen zur großen Einweihungsfeier ergingen,
wußte keiner der Eingeladenen, was ihm bevorstand. Aber
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Eine Arbeitlosensiedlung begegnet weniger Schwierigkeiten
als eine Erwerbslosensiedlung — und sieht erheblich ein-
drucksvoller aus. Die Villenvororte unserer Großstädte
erbringen den augenscheinlichen Beweis dafür.
Da gibt es parkartige Gärten, in denen ein einsamer
Gärtner 364 Tage des Jahres Ordnung hält und schafft,
damit am 365. Tage das traditionelle Gartenfest ungehindert
stattfinden kann. Da gibt es Säle, die mehr als hundert
Menschen aufnehmen können, die aber, von ein paar
„Gesellschaften“ im Winter abgesehen, nur dazu dienen,
das Dienstpersonal in Bewegung zu halten. Da gibt es
Gemälde alter Meister, auf die sich, solange das Fernsehen
verierte, was Herrn Wechselritt zu einer geglückten Börsen-
spekulation mit anschließender Fusionierung der besagten
Textilwerke veranlaßte -— und seit dieser Zeit führt Herr
Geheimrat Nehmer als Großaktionär den Ehrentitel „Textil-
könig“, Herr Bankdirektor Münzer ist Vorsitzender des
Aufsichtsrats der fusionierten Aktiengesellschatten, und der
Generaldirektor Wechselritt präsidiert dem Vorstand der
Unternehmungen bei wichtigen und feierlichen Anlässen.
Herr Wechselritt, zur Rechten der Geheimratsvilla ansässig,
ließ eines Tages in seiner schloßähnlichen Besitzung einen
Konzertsaal einrichten, mit 250 Sitzplätzen, null Stehplätzen,
einem Haupteingang für sich selbst und die Ehrengäste,
Zeichnung von St. S z i g e t ii y
Vom
nächsten Krieg
„Entschuldigen Sie,
meine Herren, ich bringe
nur die Gasrechnung!“
noch so unvollkommen ist wie heutzutage, kein sachverstän-
diger oder kunsthungriger Blick verirrt.
Und in einer solchen Arbeitslosensiedlung gab es neulich
eine vielbesprochene Sensation, eine ganz ungewöhnliche Dar-
bietung, wie der Kommerzienrat Anteiler, eine fabelhafte
Attraktion, wie die Filmschauspielerin Haarweh, eine ori-
ginelle Chose, wie der Botschafter a. D. von Frack zu Klack
versicherte. Denn alle diese Prominenten hatten die Sen-
sation als geladene Gäste im hochherschaftlichen Hause
des Geheimrats Nehmer, Dr. h. c. und Ehrenmitglied des
Golf- und Automobilklubs „Zeitvertreib“, besichtigen dürfen.
Zur Linken der geheimrätlichen Villa befindet sich die
sehr bemerkenswerte und geräumige Behausung des Bank-
direktors Münzer, zur Rechten die schloßähnliche Besitzung
des Generaldirektors Wechselritt. Die beiden Direktoren
sind Geschäftsfreunde des Geheimrats, insofern der Banken-
konzern, den Herr Münzer kontrolliert, das Vermögen des
Geheimrats in eine Reihe von Textilfabriken hineinmanö-
einem Nebeneingang für Kritiker und Musiker, einer Ehren-
loge für Generäle, Minister, Wirtschaftsführer und Fürst-
lichkeiten und einer vergoldeten Orgel zum Zwecke der
Kapitalsanlage. Es ist sehr verständlich, daß dieses gelun-
gene Unternehmen, das in weitesten Kreisen Anerkennung
und Bewunderung fand, Herrn Münzers Ehrgeiz nicht ruhen
ließ. Zeitgemäßer als Kunst ist Sport, sagte er sich, und
ließ auf seinem Grundstück eine Halle mit einem Schwimm-
bassin errichten, 100 Meter lang und 50 Meter breit, mit
komfortablen Zuschauertribünen und originellen Beleuch-
tungseffekten. Und das war es, was schließlich den Geheimrat
Nehmer dazu zwang, seine beiden Nachbarn mit einer
aufsehenerregenden, überraschenden, hochmodernen Anlage,
kurz gesagt, mit einer neuen Sensation in den Schatten
zu stellen.
Die Vorbereitungen hatten in aller Stille stattgefunden.
Als die Einladungen zur großen Einweihungsfeier ergingen,
wußte keiner der Eingeladenen, was ihm bevorstand. Aber
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