Zeichnung von Sylv. de Mayo
Peter Pong:
Legende vom Huhn
Noch in der Zeit des russisch-japanischen Krieges
geschah es, daß einige Kosaken ein großes Feuer
anzündeten, um ein Huhn zu kochen. Der Koch des
Kosakenlagers ergriff das Huhn, welches aus der
Wolgagegend stammte und sprach zu ihm:
„Hühnchen! Nimm Abschied von deinem Leben! Ich
werde jetzt deinen Hals durchschneiden!“
In diesem Augenblick donnerte der Himmel, und wie
ein Blitzschlag schlug ein japanisches Schrapnell her-
„Nanu, Herr
Generaldi-
rektor,noch
in Berlin?
Wieviel
Kaution ha-
ben Sie hin-
terlegen
müssen?“
Zeichnung von Karl H o 11 z
Hafen-
dialekte
„HitlerPascha
für Deutsland,
n’est-ce-pas?“
„I wo, Hussan!
Hitler pascha
garnich für
Deutschland!“
unter. Erschrocken ließ der Kosakenkoch das zum Tode
verurteilte Huhn fallen.
Das Huhn jammerte laut.und entfloh hinkend, weil es
am linken Fuß von einem Granatsplitter verletzt war.
Eine Oberschwester vom Roten Kreuz bemerkte das
Tier und versah es schnell mit einem Notverband. Das
Huhn wurde als Kriegsbeschädigter gepflegt, und als
es ganz gesund wurde, nach dem russisch-japanischen
Friedenspakt, einem Tierfreund in Lemberg übergeben.
Dort lebte das Huhn. Es bekam viel Kukuruz zu
essen. In der Gegend wußte jeder, daß in Lemberg ein
Huhn lebte, das am russisch-japanischen Krieg teil-
genommen hatte.
Viele Jahre vergingen. Der Weltkrieg kam. Oesterrei-
chisches Infanterie-Regiment marschierte durch Lemberg.
Der Tierfreund in Lemberg wurde unter Verdacht der
Spionage für die Russen hingerichtet, und sein ganzes Ver-
mögen, darunter auch das Veteran-Huhn, beschlagnahmt.
Das alte Huhn wurde auf das Armee-Kommando gebracht
und dort dem Militärkoch übergeben. Die Gene-
räle freuten sich schon auf das feine Hühner-
Goulasch zum Abendbrot.
Aber der Koch schüttelte den Kopf. Er konnte
nicht feststellen, ob das Huhn ein Hahn oder
eine Henne war. Es war schon so alt und so
zusammengeschrumpft, daß es weder Kikiriki
schreien, noch Eier legen konnte.
Der Koch ließ das alte Huhn laufen.
Später, als Hindenburgs Kanonen donnerten,
tauchte das Huhn einmal bei den Masuren-
Siimpfen auf. Etwas später sah man es bei
Gorlice flüchten.
Einmal kam aus dem Westen eine ulkige
Meldung:
„Fünf Franzosen, zwei Ziegen, ein Huhn ge-
fangen. Sonst nichts Neues im Westen.“
Es war eben dieses Huhn, das an die westliche
Front gekommen war. Niemand wußte es.
Am Ende des Weltkrieges sollte ein Wacht-
meister das historische Huhn in den Berliner
Zoo bringen.
Aber inzwischen brach die Revolution aus.
In seiner Zerstreuung warf der Wachtmeister
nicht nur sein Gewehr, sondern auch das Huhn
in den Landwehrkanal.
Seitdem ist von dem alten Huhn keine Spur mehr
vorhanden. Niemand weiß, was mit dem armen,
alten Tier, das in seinem Leben soviel durch-
gemacht hat, geschehen ist.
Nur ich allein weiß es . . .
Gestern bestellte ich in einem Berliner Restau-
raht ein Brathuhn.
Der Ober brachte mir das Huhn.
Aber ich konnte das Brathuhn nicht essen.
So hart war es.
Ohne Zweifel lag das alte Veteran-Huhn auf
meinem Teller . . .
Zeichnung von G Sandberg
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Peter Pong:
Legende vom Huhn
Noch in der Zeit des russisch-japanischen Krieges
geschah es, daß einige Kosaken ein großes Feuer
anzündeten, um ein Huhn zu kochen. Der Koch des
Kosakenlagers ergriff das Huhn, welches aus der
Wolgagegend stammte und sprach zu ihm:
„Hühnchen! Nimm Abschied von deinem Leben! Ich
werde jetzt deinen Hals durchschneiden!“
In diesem Augenblick donnerte der Himmel, und wie
ein Blitzschlag schlug ein japanisches Schrapnell her-
„Nanu, Herr
Generaldi-
rektor,noch
in Berlin?
Wieviel
Kaution ha-
ben Sie hin-
terlegen
müssen?“
Zeichnung von Karl H o 11 z
Hafen-
dialekte
„HitlerPascha
für Deutsland,
n’est-ce-pas?“
„I wo, Hussan!
Hitler pascha
garnich für
Deutschland!“
unter. Erschrocken ließ der Kosakenkoch das zum Tode
verurteilte Huhn fallen.
Das Huhn jammerte laut.und entfloh hinkend, weil es
am linken Fuß von einem Granatsplitter verletzt war.
Eine Oberschwester vom Roten Kreuz bemerkte das
Tier und versah es schnell mit einem Notverband. Das
Huhn wurde als Kriegsbeschädigter gepflegt, und als
es ganz gesund wurde, nach dem russisch-japanischen
Friedenspakt, einem Tierfreund in Lemberg übergeben.
Dort lebte das Huhn. Es bekam viel Kukuruz zu
essen. In der Gegend wußte jeder, daß in Lemberg ein
Huhn lebte, das am russisch-japanischen Krieg teil-
genommen hatte.
Viele Jahre vergingen. Der Weltkrieg kam. Oesterrei-
chisches Infanterie-Regiment marschierte durch Lemberg.
Der Tierfreund in Lemberg wurde unter Verdacht der
Spionage für die Russen hingerichtet, und sein ganzes Ver-
mögen, darunter auch das Veteran-Huhn, beschlagnahmt.
Das alte Huhn wurde auf das Armee-Kommando gebracht
und dort dem Militärkoch übergeben. Die Gene-
räle freuten sich schon auf das feine Hühner-
Goulasch zum Abendbrot.
Aber der Koch schüttelte den Kopf. Er konnte
nicht feststellen, ob das Huhn ein Hahn oder
eine Henne war. Es war schon so alt und so
zusammengeschrumpft, daß es weder Kikiriki
schreien, noch Eier legen konnte.
Der Koch ließ das alte Huhn laufen.
Später, als Hindenburgs Kanonen donnerten,
tauchte das Huhn einmal bei den Masuren-
Siimpfen auf. Etwas später sah man es bei
Gorlice flüchten.
Einmal kam aus dem Westen eine ulkige
Meldung:
„Fünf Franzosen, zwei Ziegen, ein Huhn ge-
fangen. Sonst nichts Neues im Westen.“
Es war eben dieses Huhn, das an die westliche
Front gekommen war. Niemand wußte es.
Am Ende des Weltkrieges sollte ein Wacht-
meister das historische Huhn in den Berliner
Zoo bringen.
Aber inzwischen brach die Revolution aus.
In seiner Zerstreuung warf der Wachtmeister
nicht nur sein Gewehr, sondern auch das Huhn
in den Landwehrkanal.
Seitdem ist von dem alten Huhn keine Spur mehr
vorhanden. Niemand weiß, was mit dem armen,
alten Tier, das in seinem Leben soviel durch-
gemacht hat, geschehen ist.
Nur ich allein weiß es . . .
Gestern bestellte ich in einem Berliner Restau-
raht ein Brathuhn.
Der Ober brachte mir das Huhn.
Aber ich konnte das Brathuhn nicht essen.
So hart war es.
Ohne Zweifel lag das alte Veteran-Huhn auf
meinem Teller . . .
Zeichnung von G Sandberg
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