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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 53.1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.8268#0080
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Lieber Wahrer Jacob!

Folgende selbsterlebte Geschichte muß ich dir mitteilen:
Vor dem Postschalter meines Postamtes hängt ein Schild
„Telegramme haben den Vortritt.“ Da ich es nicht eilig
hatte und außerdem niemanden durch meine bevorzugte
Abfertigung verärgern wollte, stellte ich mich einfach hinten

„Ich habe eine Depesche! Depeschen haben immer den
Vortritt.“

„Ich habe auch eine Depesche! Ich habe lange genug
gewartet, ich habe mich hinten angestellt und Sie sind
eben erst gekommen.“

Der Beamte schaute eine Weile ratlos auf uns. Dann ent-
schied er salomonisch gegen mich:

Die Unschuldslilie ‘5SS

Die keusche Lilie mag
entzücken

mit ihrer Blütenfäden
Reiz.

Doch kehrt die Polizei
den Rücken,

Zupp — haben wir das
Hakenkreuz!

an die Reihe der Wartenden an. Einschreibebriefe wurden
quittiert, Gelder eingezahlt, Briefmarken gekauft, Auskünfte
verlangt, ich wartete geduldig, bis die Reihe an mich kam.
Endlich wollte ich mein Telegramm in den Schalter reichen,
da stürzte von links ein Mann heran und warf seine
Depesche mit mir zugleich in den Schalter. Der Beamte
schaute böse auf.

„Wer war denn zuerst da?“

„Ich“, sagte ich.

Der andere links von mir brüllte:

„Der Herr hat recht. Wer eine Depesche hat, muß nicht
warten. Wer eine Depesche hat, tritt von links an den
Schalter. Wenn dann ein anderer mit einer weiteren De-
pesche kommt, muß er sich hintör dem ersten links an-
stellen. Depeschen werden von links abgefertigt.“

Mir blieb vor so viel Logik die Spucke weg.

„Aber—“

Der Beamte brummte mich böse an:

„Na, wirds bald? Ordnung muß sein, treten Sie gefälligst
nach links hinter den Herrn!“

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