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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 53.1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.8268#0335
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ELEGISCHER GESANG

Freundschaft, Kinder, ist vonnöten
Hier auf unserem Planeten. —
Wenn sie in Erscheinung tritt,
Jubeln heller alle Flöten
Froh begeisterter Poeten,

Und wir jubeln freudig mit.

Denn in unsrer Tage Hasten
Kann man leichter Lasten asten,
Steht zur Seite uns ein Freund.
Leichter durch der Krise Wüste,
Läufst du deine Pfade, siehste.
Läufst du freundschaftlich vereint.

Drum so fand man auch beglückt sich
Und in hohem Maß entzückt sich.

Wie man es nur selten war.

Als man unsern Franz v. Papen
Mitsamt Hitler, dem Satrapen,
Wandeln sah als Freundespaar.

Hoffnungsfrohe Seelenregung
Zitterte durch die Bewegung,
Als man wahrnahm dies Idyll.
Rauhe Kämpfer wurden Lämmer,
Die im sanften Abenddämmer
Ihre Brownings putzten still.

Um dem Freundschaftsbund zu dienen,
Gingen sie in Filzpantinen,

Als man rief zur Juli-Wahl.

Ja, da sah man keinen mucksen.

Denn die Hoffnungsblumen wuchsen
Ringsum hold im (Kapi) Tal.

Und dann plötzlich mit Geschmetter
Donnerte ein Donnerwetter
Und die Blumen waren hin!

Und der eine von den beiden
Freunden mußte Trübes leiden
Und saß in der Tinte drin.

Und den andern von den beiden
Freunden sah man abseits weiden.
Schwergeprüft, doch resigniert.

Und man hörte den Satrapen
Heftig schimpfen auf Franz Papen,
Denn er fand sich angeschmiert.

Ach, das Ei der Diadochen,

Es ist ganz und gar zerbrochen
Und die Schalen liegen rum!

Und es riecht nicht sehr erfreulich.
Sondern ausgemacht abscheulich.
Konstatiert das Publikum. W.

Cer hart Herrmann Mostar Die Kleinen henkt man..

Der Goldfisch.

„Also", fragte der Richter von Landau den Erwerbslosen von Landau, „warum
haben Sie nun den flossenlahmen Goldfisch, der, wie Sie wußten, städtisches
Eigentum war, aus dem städtischen Goldfischweiher entwendet und mit nach
Hause genommen?"

„Entschuldigen Sie", antwortete der Erwerbslose, „ich hatte Hunger“.

Es fällt dem Richter von Landau nicht weiter auf, daß ihn der Erwerbslose um
Entschuldigung bittet. Eigentlich ist es ja wohl noch nicht üblich geworden,
daß einer, der Hunger hat, wegen seines Hungers denjenigen um Entschuldigung
bittet, der satt ist; schon deshalb nicht, weil der Satte dem Hungrigen meist
doch nicht verzeiht.

Vielmehr fragt der Richter weiter; „Sie wollen also behaupten, daß Sie den
jGoldfisch gegessen haben?“

„Jawohl, ich habe ihn zu Hause gebraten und gegessen. Er wog 120 Gramm.”
„Sonst haben Sie nichts hinzuzufügen?"

Naja ... wenn der Erwerbslose nun ein guter Redner wäre, dann hätte er noch
manches hinzuzufügen.

„Sehen Sie, Herr Richter", würde er dann vielleicht sagen, „ich bin
erwerbslos und ausgesteuert. Darum nur hatte ich ja Zeit, mir am
Wochentag die Goldfische anzugucken, während die Leute, die Arbeit haben,
nur am Abend können, wenn man die Goldfische nicht mehr sieht, oder
am Sonntag, wenn der Goldfischteich belebt ist von Menschen. Darum nur
konnte ich so viel Zeit auf die Betrachtung des Goldfisches verwenden, der
da an der Oberfläche des Teiches herumtummelte und schon meist auf dem
Rücken schwamm, so daß ich seinen leichenweißen Bauch sah. Darum nur
konnte ich auf den sträflichen Gedanken kommen, daß ein Goldfisch eine
: Delikatesse sei; wenn ich das Geld für einen Salzhering gehabt hätte, wäre mir
das nicht passiert. Nichtsdestoweniger Herr Richter: ich weiß nicht, ob sich
‘ amerikanische Millionäre von Goldfischen ernähren, aber mein Goldfisch
(schmeckte jedenfalls miserabel. Er wog fünf Gramm weniger als ein Viertel-
pfund, und davon ging das Gold noch ab, denn das mußte ich abschuppen.
jWeil es sonach eigentlich gar kein Goldfisch war, sondern eine halbe Leiche,

I die man nach ärztlicher Ansicht wegen Fischvergiftungsgefahr von Rechts
wegen nicht essen sollte, weil ich nicht satt davon geworden bin, sondern eher
noch hungriger, und weil ich infolgedessen versprechen kann, mich in Zukunft
des Genusses weiterer halbtoter städtischer Goldfische unter allen Umständen
zu enthalten, und wenn ich Zeit meines Lebens erwerbslos und ausgesteuert
|; nleiben sollte — aus all diesen Gründen bitte ich, mich freizusprechen oder
nir doch Bewährungsfrist zu geben."

, ^ber der Erwerbslose war kein Redner, und so hatte er nichts mehr hinzu-
zufügen.

Ter Richter von Landau aber ging mit seiner Gesetzeskenntnis zu Rate, und
veil er ein guter Gesetzeskenner und ein pflichtgetreuer Beamter war, der sich
in seine Gesetze gebunden fühlte, gelangte er zu folgenden Erkenntnissen:

1 Ter Erwerbslose hat sich schuldig gemacht
:rstens: des unbefugten Betretens städtischen Bodens bzw. Gewässers;

| :weitens: des Fischfrevels;

| Irittens: entweder: des Diebstahls,

| oder: des Mundraubs,

• oder: der Genußmittelentwendung.

)er gewissenhafte Richter entschied sich für Vergehen Nummer eins, zwei und
Irei C; mithin vermochte er dem halbtoten städtischen Goldfisch den Charakter
| ls Genußmittel nicht abzusprechen. Unter Zubilligung mildernder Umstände
rhielt somit der Erwerbslose acht Tage Gefängnis; außerdem hat er, weil er
a eben erwerbslos und ausgesteuert ist, sämtliche Kosten zu tragen.

<ehet, weise eingerichtet ist diese Welt, jedem gibt sie das seine:
j en Erwerbslosen gibt sie ein Schlaraffenland, die Goldfische schwimmen
inen schon tot und gebraten ins Maul, und den Richtern gibt sie, daß die
!ahl der Paragraphen noch immer größer ist als die Zahl der mildernden
Imstände!

„Plötzlich kommt es über einen..."

„Also", fragte der Berliner Gastwirt den Berliner Arbeitslosen R., „wann*1
haben Sie denn bei mir für drei Mark verzehrt, wo Sie doch wußten, daß Si®
kein Geld bei sich haben?"

„Ja ...“, antwortete der Arbeitslose, „plötzlich kommt es so über einen ..

Und das ist auch so eine Antwort, mit der ein Gastwirt nichts anfangen kann-
Da weiß auch bloß wieder der Beschuldigte, was er damit meint. Daß es
plötzlich über ihn kam, einmal, ein einziges Mal dieses sinnlose HerumlatscheJ1
auf sausenden Straßen mit sausendem Kopf und sausendem Magen zu unter'
brechen. Einmal, ein einziges Mal in so ein schummriges Bierlokal zu gehen,
wie in besseren Tagen. Einmal eine Bockwurst und einen Rollmops zu essen
und dann noch eine Bockwurst und ein paar Mollen dazu zu trinken. Einmal,
ein einziges Mal mit aller Kraft der Selbstsuggestion zu vergessen, daß man ®s
nicht bezahlen kann. Es hat geschmeckt, es ist gelungen, gottlob, dies Vergessen-
Nun steht aber da der Wirt, auch ein kleiner Pinscher, der um drei Mark
geschädigt wurde, und fragt und sagt: „Das ist Zechprellerei, Herr . . .1"

Und plötzlich, ganz plötzlich springt der Zechpreller auf. Es kommt wieder
über ihn, wieder so plötzlich. Daß er nun straffällig geworden ist, daß er ®s
morgen wieder werden muß, werden wird, daß all das keinen Zweck mehr hat,
aber schon gar keinen Zweck. Und die Angst kommt über ihn, die geradezu
panische Angst vor Gericht und Gefängnis, wegen drei Mark. Und das jäh®
Wissen: der hier kennt ja deinen Namen noch nicht. Also weg, weg, ausrücken,
was wagen, fliehen ...

Der Mann läuft. Stürzt aus dem Lokal, rast Treppen zum ersten Stock hinauf,
hört Schritte hinter sich. Reißt das Fenster auf, will im Sprung zur Regengoss®
greifen, erreicht sie nicht-

Er liegt im Stäatskrankenhaus. Hoffnung besteht nicht. Er wird seine Schuld
von drei Mark mit ins Grab nehmen. Denn es kam so plötzlich über ihn, ef
hat es selbst so ausgedrückt. Er hat schon gewußt, was er meinte. I n ihn»
war das nicht, wollte er sagen. Er ist kein Dieb, er ist kein Zechpreller, e s <
das da über ihm hängt, macht ihn dazu. E s jagt ihn in die Flucht, e s stürzt
ihn aus dem Fenster, e s würde ihn, wenn er genesen würde, mit dreißig
Mark und drei Monaten bestrafen, weil es seine drei Mark nicht wieder kriegt-
E s , das Sinnlose, Widernatürliche, das in Amerika Weizen ins Meer wirft und
ihn hier darum, eben darum verhungern läßt, e s , das sie doch ängstlich vof
Angriffen schützen mit Bajonetten und Milliarden und Notverordnungen.

Es kommt über uns alle, jeden Tag, jede Stunde, tausendmal.

„Sich selbst gerichtet."

„Warum", fragte die Presse von Wien dem Bankbeamten Voglhuber ins Grab
nach, „warum hast du dich und deine Frau mit Gas vergiftet, da du doch nur ver-
säumtest, eine Quittung auszustellen über einen Betrag, den dein Vorgesetzter
entlieh? Es wäre doch höchstens eine kleine Disziplinarsacne geworden . < -
Hans Voglhuber konnte nicht mehr antworten. Auf seine Küchentür hatte ®r
noch mit Kreide geschrieben: „Achtung! Gas! Schwager verständigen!“ Da*
waren seine letzten Worte gewesen. Denn Ordnung muß sein.

Und deshalb war auch die Sache mit der Quittung nicht zu überleben. Gewiß5
der Vorgesetzte hätte ihn unter irgendeinem Vorwand entlassen, wenn er di®
entlehnte Summe quittiert hätte. Und eine neue Stellung wäre nicht zu finden
gewesen ... Aber er hätte eben doch quittieren müssen. Er war schuldig vor
seinem Gewissen, dem Gewissen des kleinen Beamten. Und der kleine Beamt®
und seine kleine Frau lagen tot in der kleinen Küche.

Aber der große Herr Bankvorstand hatte mit der großen Unterschlagung ein®
große Reise angetreten. Und sie haben ihn noch nicht. Und es fragt sich, ob
sie ihn kriegen.

Aber ein bürgerliches Blatt überschreibt die Nachricht vom Tode der Vogl'
hubers effektvoll und moralisch: „Sich selbst gerichtet.“

Wie? Die Kleinen henkt man, die Großen läßt man laufen?

Oh nein. Das war einmal. Heute ist man humaner. Heute ist man praktischer.
Heute hat man seine Leute erzogen.

Die Großen laufen von allein — und die Kleinen henken sich selbst.,,
 
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