Ursadie
Das „Kunstlerfest" Eine ernsthafte Begebenheit —
berichtet von Fred Steiner
Diese kleine Episode, von der ich erzählen will, ereignete sich in München,
Sie hat einen doppelten Vorzug: erstens wahr zu sein und zweitens den
moralischen Forderungen zu entsprechen, die unsere Zeit an das sittliche
Empfinden des Normalmenschen stellt. Also an einem jener heißen Julitage
(bevor noch jene Bracht-Verordnung gegen das Nackte erlassen wurde)
begegnete dem Maler Seeberger auf der Theresienstraße sein Jugendfreund
Rettberg, Die beiden schütteln sich kräftig die Hände, markieren lebhafte
Wiedersehensfreude, tauschen bewegt flüchtige Jugenderinnerungen aus. Und
dabei kommt es zutage, daß Rettberg inzwischen zu einem prominenten Mit-
glied der bürgerlichen Gesellschaft avanciert ist. Großkaufmann mit eigenem
Achtzylinder, Villa, Jagd und all jenen Schikanen, die gediegene Wohl-
habenheit, um nicht zu sagen Reichtum, mit sich bringen, Seeberger, jener
wenig geachteten und schon längst im Absterben begriffenen Schicht, der
* ogenannten Boheme, angehörig, kann nur schüchtern von dem bescheidenen
Dasein des Künstlers in diesen schweren Zeitläufen berichten, insbesondere von
dem mühseligen Existenzkampf des Malers, dessen Lebensfreuden heute auf
ein Minimum gesunken sind. „Künstler bist du also", meint der Großkaufmann
interessiert. „Ihr führt doch eigentlich ein ziemlich heiteres, um nicht zu sagen
Zeichnung von Curt Lange-Christopher
ec, *» ,jT„f»Hüft
Die Plattform des Monarchismus ist kein rocher de bronce...
ungebundenes Leben. Könntest du mich nicht mal auf so'n richtiges Künstler-
fest mitnehmen? Ich will gern ein paar Mark springen lassen . , . verstehst
doch ... so ein bissei Betrieb ... Jazzmusik .., Alkohol ... hübsche Mädel ...
na —- wirst schon alles richtig arangieren!" und dabei drückte er dem verdutzten
Maler einen Zwanzigmarkschein in die Hand. Seeberger, zuerst erfreut über die
mäzenatenhafte Geste seines Jugendfreundes, dann aber sichtlich enttäuscht
von dessen Gebefreudigkeit, willigt ein und man vereinbart den kommenden
Mittwoch als den Tag des Festes.
Der Großkaufmann, gutbürgerlich verheiratet, freut sich schon mächtig auf
diesen „Ausflug in die Boheme", als er an dem festgesetzten Mittwoch die vier
Treppen zum Atelier hochklettert. Seeberger öffnet die Türe und empfängt den
Mäzen mit strahlendem Lächeln: „Also Rettberg . .. wirst ja staunen . .. fabel-
hafte Stimmung bereits ..." Er hilft dem Großkaufmann aus dem Frackmantel.
Rettberg fühlt sich etwas unsicher in der Künstleratmosphäre. Die farbigen
überlebensgroßen Karikaturen an den Wänden scheinen ihn persönlich aus-
zulachen. Aus dem Atelierraum hört man heitere Tanzmusik, Gelächter und
schleifende Tanzschritte. Verlegen zupft der Großkaufmann an seiner Smoking-
krawatte: „Du, Seeberger, glaubst du nicht, daß ich etwas deplaciert wirke im
Kreise deiner Freunde?“ Der Maler
schüttelt lachend den Kopf. „Aber auch
gar nicht, mein Lieber! Nur mußt du
dein Kostüm etwas ändern. Wirst ja
gleich selber merken, daß wir ganz un-
gezwungen beisammen sind..." Und
dann flüstert der Maler dem Großkauf-
mann einige Worte ins Ohr. Rettbergs
Gesicht überzieht sich mit tiefer Röte:
„Nein, das ist ganz ausgeschlossen!"
Doch Seeberger gibt nicht nach: „Wirst
doch kein Spielverderber sein. Wir sind
doch quasi unter uns. Dadrinnen kennt
dich kein Mensch. Wer weiß, ob du
überhaupt nochmals Gelegenheit hast, so
ein richtiges Künstlerfest mitzumachen.
Garantiert dionysische Stimmung!" Rett-
berg sträubt sich immer noch. Als Groß-
kaufmann soll er an einer richtigen Orgie
teilnehmen ... ? Aber wenn Seeberger
doch recht hätte ... mit der nie wieder-
kehrenden Gelegenheit? Aus diesen
widerstrebenden Empfindungen erlöst
ihn der Maler, indem er den Vorhang
zur Garderobe auf die Seite zieht: da
hängen männliche und weibliche Klei-
dungsstücke bunt durcheinander, Ober-
hemden, Dessous, Kombinationen, Seiden-
strümpfe, Socken, Büstenhalter .., „So
überzeuge dich doch selber, Rettberg —
meine anderen Gäste haben längst alles
Ueberflüssige abgelegt ... bei uns Künst-
lern gibts kein Genieren!" Entwaffnet
von der Revue männlicher und weiblicher
Kleidungs- und Wäschestücke beginnt
jetzt Rettberg Stück für Stück abzulegen,
bis er im adamitischen Zustand vor
seinem Freunde steht. „Aber du, See-
berger, bist ja noch im Smoking?" „Ja,
ich erwarte noch einige Gäste. Los jetzt,
Rettberg, und rein ins Vergnügen!" Sie
stehen vor der Ateliertüre. Wild und auf-
reizend dringt die Jazzmusik an ihr
Ohr. Frauenstimmen locken — helles
Gelächter mischt sich drein. Schnell hat
Seeberger die Türe geöffnet, dem Groß-
kaufmann einen kräftigen Stoß versetzt,
daß er unvermutet in den Raum taumelt.
Undeutlich hört er noch hinter sich
die Tür verschließen. Und dann starren
zwei Dutzend wohlbekleideter Menschen
auf ihn ... Die Musik ist verstummt, I®
hellerleuchteten Atelier steht hilfslos
Rettberg, unschuldig nackt — inmitten
einer wohlangezogenen Gesellschaft, die
stürmische Hochrufe auf den Mäzen aus-
bringt. Im brausenden Gelächter gehen
die Protestbewegungen des düpierten
Großkaufmanns unter.
Wie Seeberger (der mir diese Geschichte
selbst erzählte) versicherte, soll sein
Freund, der Großkaufmann, nie wieder
die Neigung verspürt haben, an eine®
„Original-Künstlerfest" teilzunehmen.
(
J
Das „Kunstlerfest" Eine ernsthafte Begebenheit —
berichtet von Fred Steiner
Diese kleine Episode, von der ich erzählen will, ereignete sich in München,
Sie hat einen doppelten Vorzug: erstens wahr zu sein und zweitens den
moralischen Forderungen zu entsprechen, die unsere Zeit an das sittliche
Empfinden des Normalmenschen stellt. Also an einem jener heißen Julitage
(bevor noch jene Bracht-Verordnung gegen das Nackte erlassen wurde)
begegnete dem Maler Seeberger auf der Theresienstraße sein Jugendfreund
Rettberg, Die beiden schütteln sich kräftig die Hände, markieren lebhafte
Wiedersehensfreude, tauschen bewegt flüchtige Jugenderinnerungen aus. Und
dabei kommt es zutage, daß Rettberg inzwischen zu einem prominenten Mit-
glied der bürgerlichen Gesellschaft avanciert ist. Großkaufmann mit eigenem
Achtzylinder, Villa, Jagd und all jenen Schikanen, die gediegene Wohl-
habenheit, um nicht zu sagen Reichtum, mit sich bringen, Seeberger, jener
wenig geachteten und schon längst im Absterben begriffenen Schicht, der
* ogenannten Boheme, angehörig, kann nur schüchtern von dem bescheidenen
Dasein des Künstlers in diesen schweren Zeitläufen berichten, insbesondere von
dem mühseligen Existenzkampf des Malers, dessen Lebensfreuden heute auf
ein Minimum gesunken sind. „Künstler bist du also", meint der Großkaufmann
interessiert. „Ihr führt doch eigentlich ein ziemlich heiteres, um nicht zu sagen
Zeichnung von Curt Lange-Christopher
ec, *» ,jT„f»Hüft
Die Plattform des Monarchismus ist kein rocher de bronce...
ungebundenes Leben. Könntest du mich nicht mal auf so'n richtiges Künstler-
fest mitnehmen? Ich will gern ein paar Mark springen lassen . , . verstehst
doch ... so ein bissei Betrieb ... Jazzmusik .., Alkohol ... hübsche Mädel ...
na —- wirst schon alles richtig arangieren!" und dabei drückte er dem verdutzten
Maler einen Zwanzigmarkschein in die Hand. Seeberger, zuerst erfreut über die
mäzenatenhafte Geste seines Jugendfreundes, dann aber sichtlich enttäuscht
von dessen Gebefreudigkeit, willigt ein und man vereinbart den kommenden
Mittwoch als den Tag des Festes.
Der Großkaufmann, gutbürgerlich verheiratet, freut sich schon mächtig auf
diesen „Ausflug in die Boheme", als er an dem festgesetzten Mittwoch die vier
Treppen zum Atelier hochklettert. Seeberger öffnet die Türe und empfängt den
Mäzen mit strahlendem Lächeln: „Also Rettberg . .. wirst ja staunen . .. fabel-
hafte Stimmung bereits ..." Er hilft dem Großkaufmann aus dem Frackmantel.
Rettberg fühlt sich etwas unsicher in der Künstleratmosphäre. Die farbigen
überlebensgroßen Karikaturen an den Wänden scheinen ihn persönlich aus-
zulachen. Aus dem Atelierraum hört man heitere Tanzmusik, Gelächter und
schleifende Tanzschritte. Verlegen zupft der Großkaufmann an seiner Smoking-
krawatte: „Du, Seeberger, glaubst du nicht, daß ich etwas deplaciert wirke im
Kreise deiner Freunde?“ Der Maler
schüttelt lachend den Kopf. „Aber auch
gar nicht, mein Lieber! Nur mußt du
dein Kostüm etwas ändern. Wirst ja
gleich selber merken, daß wir ganz un-
gezwungen beisammen sind..." Und
dann flüstert der Maler dem Großkauf-
mann einige Worte ins Ohr. Rettbergs
Gesicht überzieht sich mit tiefer Röte:
„Nein, das ist ganz ausgeschlossen!"
Doch Seeberger gibt nicht nach: „Wirst
doch kein Spielverderber sein. Wir sind
doch quasi unter uns. Dadrinnen kennt
dich kein Mensch. Wer weiß, ob du
überhaupt nochmals Gelegenheit hast, so
ein richtiges Künstlerfest mitzumachen.
Garantiert dionysische Stimmung!" Rett-
berg sträubt sich immer noch. Als Groß-
kaufmann soll er an einer richtigen Orgie
teilnehmen ... ? Aber wenn Seeberger
doch recht hätte ... mit der nie wieder-
kehrenden Gelegenheit? Aus diesen
widerstrebenden Empfindungen erlöst
ihn der Maler, indem er den Vorhang
zur Garderobe auf die Seite zieht: da
hängen männliche und weibliche Klei-
dungsstücke bunt durcheinander, Ober-
hemden, Dessous, Kombinationen, Seiden-
strümpfe, Socken, Büstenhalter .., „So
überzeuge dich doch selber, Rettberg —
meine anderen Gäste haben längst alles
Ueberflüssige abgelegt ... bei uns Künst-
lern gibts kein Genieren!" Entwaffnet
von der Revue männlicher und weiblicher
Kleidungs- und Wäschestücke beginnt
jetzt Rettberg Stück für Stück abzulegen,
bis er im adamitischen Zustand vor
seinem Freunde steht. „Aber du, See-
berger, bist ja noch im Smoking?" „Ja,
ich erwarte noch einige Gäste. Los jetzt,
Rettberg, und rein ins Vergnügen!" Sie
stehen vor der Ateliertüre. Wild und auf-
reizend dringt die Jazzmusik an ihr
Ohr. Frauenstimmen locken — helles
Gelächter mischt sich drein. Schnell hat
Seeberger die Türe geöffnet, dem Groß-
kaufmann einen kräftigen Stoß versetzt,
daß er unvermutet in den Raum taumelt.
Undeutlich hört er noch hinter sich
die Tür verschließen. Und dann starren
zwei Dutzend wohlbekleideter Menschen
auf ihn ... Die Musik ist verstummt, I®
hellerleuchteten Atelier steht hilfslos
Rettberg, unschuldig nackt — inmitten
einer wohlangezogenen Gesellschaft, die
stürmische Hochrufe auf den Mäzen aus-
bringt. Im brausenden Gelächter gehen
die Protestbewegungen des düpierten
Großkaufmanns unter.
Wie Seeberger (der mir diese Geschichte
selbst erzählte) versicherte, soll sein
Freund, der Großkaufmann, nie wieder
die Neigung verspürt haben, an eine®
„Original-Künstlerfest" teilzunehmen.
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