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Neubauten

„Nanu? Ich sollte doch heute die Wohnung im vierten
Stock beziehen?1

„Im vierten Stock? Noch nicht fertig. Kommen Sie
nachmittags wieder!“

Die Stube

voller Bäume

Von Hans Bauer

Eine nachträgliche Weihnachts-
geschichte — die Geschichte von
meinem Vetter Alwin könnte man
wohl so nennen, und ich will sie er-
zählen. Der Vetter Alwin — Gott
weiß, wessen Vetter er nun wirklich
war: es nannten ihn alle „Vetter“ —
spielte in meinen Kinderjahren im
Verwandtschaftskreise eine gewisse
Rolle. Es war oft die Rede von ihm
und er muß der größte Schlemihl des
westlichen Europa gewesen sein. Er
besaß irgendwo in der Vorstadt ein
Zigarrengeschäft, das aber nicht viel
einbrachte. Ich glaube nicht, daß
Vetter Alwin darben mußte, aber
sicher ist, daß er weder sich noch
seiner Familie jemals den geringsten
Luxus gönnte, und es kursierten an-
schauliche Geschichten über die Ein-
fachheit seiner Lebensweise, Beispiels-
weise kaufte Vetter Alwin für den
Weihnachtsabend niemals einen Christ-
baum, wiewohl er drei Kinder hatte,
deren ältestes zur Zeit dieser Ge-
schichte kaum sieben Jahre gewesen
sein dürfte. Er begründete diese Unter-
lassung vor den Verwandten mit seiner
Armut, derer er sich durchaus nicht
schämte und die er eher über- als
untertrieb, und er begründete sie vor
seinem Nachwuchs, der sich mit öko-
nomischen Erklärungen nicht zufrieden
gegeben hätte, mit neckischen Anek-
dötchen, wie etwa dem von einem
plötzlichen Unfall, den der Weih-
nachtsmann eben in dem Augenblick
erlitten hätte, als er sich auf den Weg
machte, um den der Familie zustehen-
den Baum zu überbringen.

Einmal, im November eines Jahres,
ließ sich Vetter Alwin da von jeman-
dem einreden, daß beim Christbaum-
handel einiges Geld zu verdienen sei.
Vetter Alwin holte sein Vermögen von
der Sparkasse: 250 Mark, die Erspar-
nisse seines Lebens, sauer erarbeitetes,



As


Hans Kossatz: Schiffstaufe in Schottland

PUDERDtm
VOLLER AUSFÜHRUNG

Die Damenmode

wird immer uniformähnlicher. Wir schlagen obige
Novitäten vor.

Christbaumsegen erlebt zu habe!
Ein Händler unterbot den ander|
Man bekam die Christbäume nacl
geworfen. Sogar Vetter Alwin wä
gewiß in der Lage gewesen, sich
diesem außerordentlichen Jahr ein
Baum zuzulegen.

Am Weihnachtsabend bot Vett
Alwins Verkaufsstand einen überall
romantischen Anblick dar. Sein B
stand schien sich nicht unwesentli
vermehrt zu haben. Rundum war all
grün und ein satter Nadelduft füll
die Luft. Gegen sechs Uhr bega
Vetter Alwin die Bäume zu ve
schenken, denn die Plätze mußten h|
morgens früh geräumt sein. Aber
läßt sich nicht sagen, daß Vetter Alwi|
auf allzuviel Bereitwilligkeit gestoße
wäre, ihn von der Last des Abtran:|
portes zu befreien.

Da warf er gegen acht Uhr die noc
vorhandenen Bäume auf einen Karre
und schob ihn durch den kalte
Winterabend nach Hause. Es war ei
denkwürdiger Weihnachtsabend, d<
nun in der Familie des Vetters Alwi
gefeiert wurde, Nicht ein Weil)
nachtsbaum bevölkerte die Stube .
ein Dutzend taten es. Die Stube ve
wandelte sich in einen grünen Wahl
Die Kinder lachten und jubelten un|
es war ein Glückstag für sie wie n
zuvor.

Vetter Alwin jedoch hatte sich in eir
Ecke gesetzt, sagte einen lästerliche
Fluch nach dem andern auf die Chris
bäume her, und wenn es wahr ist, we
darüber in Umlauf kam, soll er sog-
Tränen vergossen haben, deren bi
sondere Tragik es war, von seine
Kindern als Freudentränen mißdeuti
zu werden.

Man redet heute so viel von de:
Fluch der Ueberproduktion. Was de:
Vetter Alwin damals geschah, lag ai
der gleichen Ebene: und wenn es sehr
ein Malheur ist, seinen Kindern keine
Christbaum kaufen zu können: w:
soll man erst zu den Pechvögel
sagen, die ihnen gleich ein Dutzer
ins Zimmer stellen!
 
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