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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 54.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.8269#0015
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Mannes l*aeslev: üwei Qedichle

Entfremdung

Wir sagen nicht mehr „Du“ zu allen Dingen.
Fremd greifen wir um Brot und Beil und Rad,
Und wir verstehen nicht mehr, wenn der Draht,
Das Tor, das Pflaster und der Motor singen:

In dem Stickstoffwerk

(An einen Kumpel.)

Neben den Bergen von, weißem Ammoniak
Stehen wir beide und stampfen durchs Rost,
Mit unserer Rammen gleichmäßigem Schlag
Dem laufenden Band die zerstückelte Kost.

Ich grüße dich, verwandtes Blut. Ich bin Metall,

Ich bin das Holz, das Wasser, ich der Stein.

Wir schliefen einst verschwistert in dem All
Und werden wieder eng verschwistert sein.

Zu sehr entfremdet klingt uns der Gesang,

Und fremder fassen wir die Dinge an.

Der Weg vom Ding zum Menschen ward zu lang!

Dem andern, der vorüber geht, erklingt ja auch kein „Du".
Der ist ein Mörder, sagen wir, und der ein fremder Mann
Und schließen fester Hand und Mund und Augen zu.

Hörst du, die Ramme singt dumpf, wenn ihr schwerer Fuß
Stößt auf die Brocken. Doch hell klingt und schrill
Ihr Gesang, traf sie den Rost. Was ihr Gruß
Wohl bedeuten mag? Ob er von uns etwas will?

Plötzlich da fallen die Bohrer mit Lärmen ein.

Staub schwelt und du schiebst dir den Schwamm ins Gesicht.
Mitten im dichten Lärm bin ich allein,

Und mitten im Staube erkenn ich dich nicht.

Träg schlägt die Ramme herab im verhaltenen Grimme.

Doch wie durch Lärmen und Staub dein Gesang
Dringt, da begrüße ich dich und die Stimme
Erklingt, wie das Eisen auf Eisen erklang.

Die Fehl-Diagnose

Meinem Freunde, der Irren-
arzt ist, erzählte ich die fol-
gende kleine Geschichte.

„Ich habe einen Mann laut
schreien hören, daß ihm das
ganze deutsche Volk ge-
horchen müsse. Alle, die
gegen ihn seien, werde er als
Verräter und Verleumder
verfolgen, — einen Bürger-
krieg wolle er aber nicht.“
Mein Freund, der Irrenarzt,
schüttelte bedenklich den
Kopf.

„Der Mann", so erzählte ich
weiter, „wetterte gegen den
Kapitalismus und den Indivi-
dualismus, er erklärte jedoch
ebenso laut, daß man das
Eigentum und den privaten
Unternehmer schützen müsse.
Die Gewerkschaften und Ta-
rife werde er abschaffen, aber
die Rechte des Arbeiters
wolle er nicht antasten. Er
werde die deutsche Wirt-
schaft vom Ausland absper-
ren, aber er werde sie zur
Blüte bringen.“

Mein Freund, der Irrenarzt,
sah mich betroffen an. „Und
so etwas läuft frei herum?“
fragte er.

„Ja“, antwortete ich, „er läuft
frei herum und behauptet, die
Demokratie sei eine franzö-
sische Erfindung, das deutsche
Recht sei römisch, diemodern«
Literatur sei entweder jüdisch
oder bolschewistisch, die mo-
derne Kunst stamme von den
Negern ab, und alle, die das
Zu bestreiten wagen, seien
Untermenschen.“

Mein Freund, der Irrenarzt,
riß die Augen auf. „So ein
Fall ist selbst mir noch nicht
vorgekommen."

„Der Mann“, fuhr ich fort,
„behauptet, er sei der Retter
seines Volkes, dessen größter
Feind die Juden, die Frei-
maurer, die Franzosen und
die Vernunft seien. Er be-
hauptet auch, daß sich 1918
Deutschland in geordneten
Verhältnissen befunden habe.
Und er behauptet schließlich
noch, daß Marxismus der
Gegensatz von Sozialismus
sei.“

Mein Freund, der Irrenarzt,
holte tief Atem. „Du", sagte

Zeichnung von Karl Fr icke

„O Hein, wat ward nu, wenn dat letzte Schipp in’n Hoben still liegt?"
„Denn lot ick mi as letzten Hamborger Seemann in’n Panoptikum utstelien"

er dann, „dieser Mensch ir^
entweder ein Kretin oder
ein ..."

„Oder ein...? Nun? Laß
dir sagen, daß 10 Millionen
Deutsche diesen Mann zu
ihrem politischen Führer ge-
wählt haben!“



„Wo sind die schönen Zeiten
vom Sommer 1932 hin?“
seufzte der Standartenführer.
„Saisonsache eben“, tröstete
ein Freund, „Fahrten ins Blaue
sind nur im Sommer beliebt!"



„Lohnerhöhung ? Ausgeschlos-
sen, meine Herren", sagte der
Generaldirektor zu den Ge-
werkschaftern, „meine Spesen
wachsen ins Ungemessene.
Was meinen Sie, was mich
allein die Studienkommission
zur Behebung der Arbeits-
losigkeit kostet!"



„Ist das nicht auf die Dauer
überlästig, so vielen gesell-
schaftlichen Verpflichtungen
nachkommen zu müssen?"
wurde der Filmstar gefragt.
„Das schon", antwortete der,
„aber es ist schließlich die
einzige Möglichkeit für unser-
einer», den falschen Eindruck
zu zerstreuen, den die Leute
von uns gewinnen, wenn sie
unsere Filme sehen!“

•k

Jüngst konnte man in einer
deutschen Modezeitung lesen:
„Was besonders Kostüme,
Hüte, Strümpfe und Schuhe
anbetrifft, zeigt sich die
Damenmode in diesem Jahre
auf höchster Höhe. Immer
wieder finden die Damen
Mittel und Wege, ihre ge-
heimsten Gefühle in
der Toilette auszu-
drücke n."



Deutschland 1933

In den Laden trat ein kleiner
Bub, grüßte höflich und
fragte: „Ach, haben Sie viel-
leicht etwas Wurstabfall für
unsere Katze?"

Die Mamsell suchte einiges
zusammen. Der Bub guckte,
dann sagte er: „Und Leber-
wurst ißt Vater am liebsten!"
 
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