Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 54.1933

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8269#0061
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Parole: Weder—noch!

Zeichnung von Curt Lange-Christopher

Die Rundfunkdarbietung, mit der Herr
von Schleicher seine Kanzlertätigkeit
begann, gipfelte in dem Bekenntnis, daß
er weder kapitalistisch noch sozialistisch
eingestellt sei. Mut und Entschiedenheit,

Klarheit und Eindeutigkeit, — kurzum
alle Eigenschaften, die einem hohen Mili-
tär zur Zierde gereichen, zeigten sich in
diesen denkwürdigen Worten vereint.

Sie leuchten jedem Deutschen als siche-
rer Leitstern voran, sie haben sich allen
tief ins Herz gegraben, sie bedeuten —
nach so viel Schwanken und Zögern und
falschem Alarm — endlich eine Parole,
die jeder im Volke frohen Sinns befolgen
kann.

Am leichtesten fällt es zweifellos den
von Hitler geschulten Volkskreisen, sich
die Generalsparole zu eigen zu machen.

Denn diese Leute sind längst darüber
aufgeklärt, daß in der kerndeutschen
Wortfolge „Weder — noch" der Schlüs-
sel aller Weisheit zu finden ist. Sie
wissen, daß der Nationalsozialismus
weder die Nation noch den Sozialismus
fördert. Sie haben erlebt, daß Hitler
weder den Sieg errungen noch seine
Niederlage zugegeben hat. Sie haben ge-
sehen, daß der Führer weder die Macht
ergriffen noch auf die Macht verzichtet
hat. Sie haben vernommen, daß des
Führers Stabschef weder ein Mann noch
ein Weib ist. Und sie haben erfahren,
daß das Programm ihrer Partei weder
veränderlich noch unabänderlich ist, —
weil es überhaupt nicht existiert.

Mögen also die vom Hakenkreuz Behex-
ten über Herrn von Schleicher reden wie
sie wollen, — sie werden sich in der
Tiefe ihres eigenartigen Gemüts einge-
stehen müssen, daß sie die Parole des
Generals als Ausdruck wahrhaft deut-
schen Empfindens anerkennen. Und es
ist ja nicht zu leugnen, daß sie den
Grundsatz „Weder — noch" sehr eifrig
befolgen. Denn weder stürzen sie den
Herrn von Schleicher noch geben sie zu,
ihn zu stützen.

Der Kanzlergeneral, der weder Sozialist noch Kapitalist sein will, hat seinem
Freunde Herrn von Papen einen ehrenden Nachruf gewidmet. Man versteht
dieses Freundschaftsbekenntnis, wenn man bedenkt, daß auch Herr von
Papen sich die Schleicherparole „Weder — noch" diensteifrig zu eigen
gemacht hat. Getreu dieser Parole hat er eine Staatstheorie verkündet, die
weder Sinn noch Verstand hatte und Pläne zur Wirtschaftsbelebung in die
Welt gesetzt, von denen auch der mildeste Beurteiler sagen muß, daß sie
weder Hand noch Fuß besaßen.

Daß Herr von Schleicher seiner eigenen Parole folgen würde, daran war bei
der eisernen Konsequenz dieses vorbildlichen Mannes kein Zweifel möglich.
Schon heute liegen die Beweise dafür klar zutage. Denn der Kurs, den der
Kanzlergeneral steuert, führt weder zur Republik noch zur Monarchie, weder
zu verfassungsmäßigen Zuständen noch zum Umsturz, — er ist weder kühn
noch besonnen, er schafft weder lohnende Arbeit noch angenehme Ruhe und
er hat weder an der Krise noch an der Depression das geringste ändern
können.

Die Frage, welches System Herr von Schleicher nun eigentlich zu verteidigen
oder aufzurichten gedenkt, wenn er weder kapitalistisch noch sozialistisch ist,
soll vielen Leuten schweres Kopfzerbrechen bereitet haben. Aber es gibt
Kreise, in denen man sich von vornherein über die Lösung des Rätsels klar
war. Die Unternehmer nämlich, die das Bekenntnis des Kanzlergenerals ver-
nommen hatten, verstanden sofort, was gemeint war. Kapitalismus, so sagten
sie, bedeutet Ausbeutung um des eigenen Gewinns willen. Wenn der Herr
Reichskanzler sagt, daß er nicht kapitalistisch eingestellt sei, dann meint er
seine Stellung den Unternehmern gegenüber. Denn er lehnt es ab, sie um
der Steuergewinne willen auszubeuten. Und wenn er sagt, daß er nicht
sozialistisch sei, dann meint er seine Stellung den Arbeitern gegenüber. Denn
er lehnt es ab, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen.


Bibelstunde

,,lch höre euch immer von der Wohlfahrt reden, meine beliebeten I Wie soll
denn Gott die große Prüfung Uber euch verhängen, wenn ihr durch die
Wohlfahrt immer wieder Bewährungsfrist erhaltet!“

Es gibt aber noch eine einfachere Deu-
tung der „Weder — noch"-Parole des
Kanzlergenerals. Diese Deutung stammt
von einem unbekannten Arbeitslosen,
der die großen Worte des Generals in
einer Zeitung fand, in die man ihm seine
staatlich gemischte Edelmargarine ein-
gepackt hatte. „Weder Sozialismus noch
Kapitalismus?“ murmelte der Mann,
„das heißt: der hohe Herr weiß weder
aus noch ein!"

Stipendium

Die Eltern aus Essen waren stolz.
„Morgen fährt unsere Berta ans Konser-
vatorium nach Wien, um ihre Klavier-
studien fortzusetzen", erzählten sie, „das
gute Kind hat ein Stipendium auf zwei
Jahre bekommen."

„Vom Staat?"

„Nein. Von unseren Nachbarn."

Gedächtniskünstler

„Neulich hörte ich einen Gedächtnis-
künstler, der zehnstellige Zahlen im Kopf
addierte."

„Das ist noch gar nichts. Ich kenne einen,
der weiß alle deutschen Minister seit
Neunzehnhundertachtzehn auswendig."

Der Bleistift

Leo geht in einen Laden. — „Ich möchte
einen Bleistift." — „Hart oder weich?“
— Lächelt Leo: — „Hart! Ich will Mah-
nungen schreiben."

Was ist paradox?

Wenn ein berühmter Autorennfahrer
einen Doppel g ä n g e r hat.

Unbekannt

Der kleine Willi hat ein Hufeisen gefun-
den. Er zeigt es der Mutter: „Sag, wozu
werden solche Dinger eigentlich ge-
braucht?"

Das blutende Vaterherz, von Noemi um

Mein Onkel Gregor Bykowski war in Petersburg des Vorkriegsjahrzehnts
ebenso gesucht als genialer Chirurg wie verschrien wegen seines krankhaften
Geizes.

Eines Tages erkrankte seine einzige Tochter Nadja an einer fieberhaften Blind-
darmentzündung. Was sonst ganz unüblich ist, — für meinen Onkel war es
selbstverständlich: er operierte sein eigenes Kind.

Die Operation verlief glücklich. Am anderen Tage kamen die guten Bekannten,
die Freunde und Verwandten, um sich nach dem Ergehen meiner Kusine zu
erkundigen. Jeder zweite begann seinen Speech so: „Nun sagen Sie bloß um
alles in der Welt, Gregor Borissowitsch, hat Ihnen nicht das Vaterherz
geblutet, als-Sie Ihr einziges Kind unter dem Messer liegen hatten . . .?“ Jedem
zweiten antwortete er brummend: „Dummes Zeug . .. eine Operation wie die
andere. Geschnitten .. herausgenommen . . vernäht. . fertig, Schluß!“ Den
fünfzigsten warf er heraus.

Am Abend kam mein Vater. Auch er begann: „Sage mir nur eins, Gregor
Borissowitsch, hat dir nicht das Herz geblutet . .“ — „Dummes Zeug“, unter-
brach ihn der Onkel. „Du bist heute der einundfünfzigste mit derselben däm-
lichen Frage. Von dir hätt’ ichs am wenigsten erwartet, wo du mich doch bald
vierzig Jahre kennst."

„Aber nein", begütigte mein Vater den Erregten, „werde ich dich denn
fragen, was die anderen wissen wollten! Gerade weil ich dich schon an die
vierzig Jahre kenne, wollte ich dich nur fragen: hat dir nicht das Herz geblutet,
daß du eine Tochter aus so reichem Hause hast umsonst
operieren müssen?"

Rudolf Daumann: Der stille Tod

Der Hauer Wilhelm Nitsche aus Waldenburg-Neustadt war
eingefahren in den „Segen Gottes" schon das zweiundzwanzigste
Jahr.

Siebenhundert Meter unter seiner Stube und Kammer
rüttelt und schüttelt ihn acht Stunden der Abbauhammer,
speit ihm das Kohl Staub und Gas ins Gesicht,
löscht ihm das stickende Wetter fast das Grubenlicht,
donnert die Schüttelrutsche im „Kohle! ... Kohle!" ins Ohr,
heult ihm die Schrämmaschine das Lied von der Arbeit vor.

Die Knie wichen ... wie ein Beter kniet er an den Stempel gelehnt.

Etwas war in ihm, das sich immer nach der Sonne gesehnt.

Dann losch die Lampe ... es kam ein seliges Singen.

Klang von Orgeln war es, von Flöten ein ferneres, ferneres Klingen.

Dann kam die große Stille. Der Tod trat aus der rissigen Wand.

-.. Den Hauer Wilhelm Nitsche man sechs Stunden später fand.

In die Knappschaftsrolle schrieb man ihm diesen Vermerk:

„Kohlensäuretod ... Stickende Wetter im leeren Berg."

Dann war Ausfahrt. Das Gezähe sank ihm müde aus der Hand.

Mit blinden Augen tastete er an der rissigen Wand,
stieg hinab den Pfeiler. Müde, so müde er war,
müde, wie noch niemals seit dem ersten Grubenjahr.

Im Kopf war ein lindes Summen und Sausen;
im Ohr klang ein lockendes Plätschern und Brausen.

Ruhen ... schlafen ... gleich schlafen und träumen!

Nicht mehr hacken brauchen und bohren und schürfen und räumen.
 
Annotationen