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Heransgegkbcn im Auftrage Les Vereins-Ausschusses.

M 9.

Inhalt:
Wochenbericht. — Preußische Laudtagsbriefe. — Die schleswig-holsteinische
Verwicklung und die deutsche Lösung. — Briefe aus Nassau. III. —
Die Inquisition. V. — Die gute alte Zeit. — Aus Bayern. — Mit-
theilungen aus dem Nationalverein. — Anzeigen.

Wochenbericht.
Heidelberg, 30. Mai.
* Daß der beispiellose preußische Verfassliugszustaud das
Blut des Staates vergiftet uud sein Mark ausdörrt, scheinen
die Berliner Machthaber anch heute uoch uicht zu begreifen,
oder wenigstens für eine Sache von geringem Belang zu halten.
Aber die Lähmung der auswärtigen Politik, welche in Folge
des Vcrfassnngskampfes begonnen hat, ist denn doch eine Mah-
nung, welche selbst auf das gußeiserne Gewissen eines Mini-
steriums Bismarck einigen Eindruck machen mnß. Nicht, als
ob dadurch das ministerielle Pflichtgefühl endlich geweckt, das
Bewußtsein ihrer Ungeheuern Verantwortlichkeit in den Trägern
des jetzigen Systems lebendig gemacht würde; über solche
Schwachheiten sind diese Herren ein für alle Mal hinans.
Wenn man sich von der Opposition des öffentlichen Geistes
mehr und mehr belästigt fühlt und gehemmt sieht, so findet
man darin neue Antriebe, die Opposition, nicht etwa durch
Befriedigung ihrer rechtmäßigen Fordernngen zu beseitigen,
sondern — znm Schweigen zu bringen. Zuerst mit den Gemeinde-
organen, dann mit der Presse, ist es der Negierung so ziem-
lich gelungen, den Widerspruch stumm zu machen. Jetzt sinnt
man auf Mittel, auch dem Abgeordnetenhaus ein Schloß vor
den Mund zu legen.
Im Herrcnhause ist beantragt und wird ohne Zweifel
auch beschlossen werden, die Mitglieder der Kammern für ihre
Reden nach Maßgabe des Strafgesetzbuchs verantwortlich zu
machen. Da indessen einer solchen Maßregel immerhin Schwie-
rigkeiten im Wege stehen, über welche kaum hinwegznkommen
sein dürfte, so sucht mau gleichzeitig nach anderen Wegen zum
Ziele. Die Kreuzzeitnng, immer in erster Reihe, wenn es sich
nn Dienste der Reaktion um die Vorbereitung einer Schurkerei
handelt, stellt eine förmliche Theorie des Meineides auf, der
zu Folge es die heilige Pflicht der Negierung ist, die Ver-
fassungsartikel zu beseitigen, welche ihren Absichten hinderlich
sind. Will man nicht etwa, in einer Zeit, wo selbst Rußland
eine Art Volksvertretung einführt, den Landtag überhaupt ab-
schaffcn, so wird cs sich im Sinne der Kreuzzeitnng wohl um
ein zu oktroyirendes Wahlgesetz handeln, welches voraussicht-
licher Weise eine Majorität von Jahcrrn in die Kammer
brächte. Ein solches Ergebniß würde indessen kaum anders
erzielt werden können, als dadurch, daß die Negierung die
Befugniß zur Ernennung der Abgeordneten sich selbst beilegte.
Damit wäre denn allerdings der große Erfolg gewonnen, das
Preußische Volk vollends mundtodt zu macheu, uud wenn der Geist
desselben sich um so heftiger gegen den an ihm versuchten Zwang
LUlfbäumte und morgen oder übermorgen den Staat aus allen

1865.

Fugen sprengte, so hätte doch heute wenigstens das Ohr des
Ministeriums Bismarck Ruhe vor beschwerlichen Reden.
Welche Gründe die Regierung unter den obwaltenden
Umständen bestimmen mögen, die Verhandlungen des Landtags
fortdauern zu lasfcu, auch nachdem es vollkommen klar gewor-
den, daß sie keinen Gewinn, fondern nur neue Verlegenheiten
davon zn erwarten hat, mag dahingestellt bleiben. Die Kam-
mer selbst wird sich über die Verlängerung ihrer Lebensfrist,
trotz der scheinbaren Unfruchtbarkeit ihrer Arbeiten, schwer-
lich beklagen. Um so weniger, als die Fortschrittspartei in
Preußen bis auf den heutigen Tag außerhalb des Abgeord-
netenhauses keine Art von Organisation hat, welche ihr ge-
stattete, sich auch in den Zwischenräumen der Landtagssessioncn
nach einem gemeinschaftlichen Plan zu bethätigcu — ein Mangel,
der, so lange er dauert, die Partei als solche während der
größeren Hälfte des Jahres unsichtbar macht und lahm legt.
Desto wünschenswerter nun wäre es, daß die Fortschritts-
partei bei ihrem Verschwinden von der parlamentarischen Bühne
dem Lande insgesammt ein Vermächtnis; hinterließe, von welchem
es bis zur Wiedereröffnung des Landtages einigermaßen zehren
könnte. Ein ausführlicher Rechenschaftsbericht über die abge-
laufene parlamentarische Session, würde in diesem Sinne viel-
leicht die besten Dienste leisten. Die in scharfen Zügen ge-
zeichnete Schilderung der Lage des Staats und die Zusam-
menstellung der hervorstehendsten Punkte der Anklage gegen
die Regierung, würde sich einem solchen Berichte wie von selbst
einverleiben und eine starke Wirkung ans die öffentliche Meinung
sicherlich nicht verfehlen.
Nachdem der Handelsvertrag zwischen dem Zollverein und
Oestreich, trotz lebhaften Widerspruchs, im Wiener sowohl wie
im Berliner Abgeordnetenhaus, und fast wider Erwarten, zum
glücklichen Abschluß gekommen, steht eine Reihe ähnlicher Ver-
träge — mit der Schweiz, Belgien, England — in Aussicht,
deren Nothwendigkeit aus der Gesammttage der europäischen
HandclsvcrhLltnisse hervorgeht, und deren demnächstiges Zu-
standekommen unzweifelhaft ist. Nur in Bezug auf Italien
zeigt fick eine Schwierigkeit, zu deren Ueberwindung gewisse
Kraftanstrengungen erforderlich zn sein scheinen. Die Mittel-
staaten, mit Ausnahme Badens, haben dem Königreiche Italien
bisher die Anerkennung verweigert, und Italien kann und will
sich natürlicher Weise nicht ans Unterhandlungen mit dem Zoll-
verein einlassen, so lange ihm von einer Anzahl der wichtigsten
Mitglieder desselben der völkerrechtliche Bestand streitig gemacht
wird. Es fragt sich also: soll das wirthschastliwe Interesse
Deutschlands dem legitimistischen Eigensinn der Höse in Stutt-
gart, München n. s. w. aufgcopsert werden, oder hat Deutsch-
land Ursache und Mittel diesen Eigensinn zu brccheu. Die
Antwort der deutschen Nation ans diese Frage versteht sich von
selbst. Die Nation hat nicht das mindeste legitimistische Vor-
urthcil gegen Italien, sie hat ebensowenig die mindeste Lust
ihre Wohlfahrt den Vornrtheilen der Höfe untcrznordnen,
und sie weiß sich dies Mal stark genug, um den Wiker-
j staue der Höfe zu brechen, wie sie denselben bei Erneuerung

Frankfurt a. M., den 1. Juni.
 
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