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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1865 (Nr. 1-39)

DOI Kapitel:
No. 36 - No. 39 (7. December 1865 - 28. December 1865)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44609#0287
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Hrrausgegeben im Äustrnge des Vereius-Äusschusses.

36.

Frankfurt a. M., dm 7. December.

1865.

Inhalt:
Wochenbericht. — Aus Preußen. — Die Bilanz der Annexionspolitik. —
Dir französische Politik und Schleswig-Holstein. — Der deutsche Handels-
tag über Consularreforin. — Die deutschen Seciuteresscn. — Aus
Franken. — Mittheilungen aus dem Nationalvercin. — Anzeigen.

Wochenbericht.
Frankfurt, 5. December.
* Biegen oder Brechen, heißt die Berliner Lösung, aber
rs bleibt einstweilen bei dem bloßen Worte. Je mehr sich die
Crisis in die Länge zieht, desto besser. Ist auch nicht daran
zu denken, daß diesem Regiment? der gute Rath über Nacht
kommen, oder das Gewissen endlich anfwachen werde, so bleibt
doch mit jeder gewonnenen Stunde irgend ein rettendes Er-
eigniß möglich. Ein großer Gewinil kann es schon werden,
wenn das Abgeordnetenhaus, bevor eine nene verhängnisvolle
Wendung der Dinge eintritt, nochmals zn Wort kommt. In
der gegenwärtigen Lage der schleswig-holsteinischen Sache nnd
der damit zusammenhängenden deutschen und europäischen Ver-
wickelung liegt eine ungeheuere Verantwortlichkeit ans der
preußischen Volksvertretung. Die derselben gestellte Aufgabe
hat ihre großen Schwierigkeiten und Gefahren, aber sie läßt
sich nicht länger ablehnen, sie will endlich herzhaft angefaßt
sein, und schlimmer als alles Andere wäre die Fortsetzung des
bisherigen Nichtsthuns und des bisherigen Schweigens, das
in dem jetzigen kritischen Augenblicke nicht viel weniger sein
würde als eine Abdankung.
Das anfängliche Ablcugnen des politischen Zweckes der
französischen Reise des Herrn von Bismarck hat aufgehört.
Man macht von ministerieller Seite in Paris und in Berlin
nicht länger ein Hehl daraus, daß zwischen Herrn von Bis-
marck und dem Kaiser Napoleon allerdings über die schleswig-
holsteinische Angelegenheit verhandelt worden, wiewohl ohne
allen Erfolg. Wie solche Unterhandlungen, ganz abgesehen von
deren Inhalt, in deutschem Sinne zu beurtheilen seien, dar-
über haben wir unsererseits unsere Meinung oft und nach-
drücklich genug ausgesprochen. Selbst im günstigsten Fall wird
dadurch das Ausland, und zwar in der Person eines über-
mächtigen Nachbars, unnöthiger Weise zur Mitbcrathung in
einer Sache zugczogen, welche man das größte Interesse hat,
als eine deutsche Familienangelegenheit zu behandeln und zu
erledigen; gar nicht zu reden davon, daß Preußen durch die
Bismarck'schen Bewerbungen uni die Gunst des Bonapar-
tismus doch gar zu augenscheinlich aus der Nolle der Großmacht
fällt. Demnach sind denn auch über die Reise nach Biarritz,
vom ersten Tage bis zum letzten, in der unabhängigen Presse
und in der entsprechenden politischen Welt nur Stimmen des
bittersten Tadels laut geworden. — Wenn nun aber von ge-
wisser Seite her dem Nationalverein vorgehalten wird, daß

er Herrn von Bismarck nicht mit einem ähnlichen Gerichte
hcimsuche, wie seiner Zeit Herrn v. Borries, so ergibt sich
die Grundlosigkeit der damit beabsichtigten Verdächtigung aus
dem einfachen Hinweise auf die handgreifliche Verschiedenheit
der beiden Fälle. Von Herrn v. Borries lag ein auf offenem
Landtage gethaner Ausspruch vor, welcher den Thatbestand
seiner Versündigung an der Nation unzweifelhaft machte,
während bei Herrn von Bismarck gar kein bestimmter Stoff
für eine ähnliche Anklage vorhanden ist. Ohne den mindesten
Beweis in der Hand zu haben, kann man doch vernünftiger
Weise selbst Herrn v. Bismarck nicht auf Landesvcrrath ver-
urteilen, und die bloße Thatsache seiner Verhandlungen mit
Frankreich, wie unverantwortlich sie auch sei, kann doch we-
nigstens nicht als ein Capitalverbrcchen an der Nation be-
handelt werden, zumal alle Zeuguisse dahin übereinstimmen,
daß Herr von Bismarck „mit leerer Hand" nach Frankreich
gekommen sei. So viel zum Beweise der Nichtigkeit der Be-
schuldigung, daß der Nationalverein ungleiches Maaß und
Gewicht anwende, je nachdem er einen preußischen oder einen
hannöverschen Minister vor sich habe. Kommt diese Beweis-
führung zugleich in gewissem Sinne Herrn von Bismarck zu
gut, so ist es wahrhaftig nicht unsere Schuld, sondern die
natürliche Rückwirkung eines widersinnigen Angriffs.
Die Mittel der moralischen Eroberung Preußens in den
Herzogtümern vervielfältigen sich. Zu der offnen ist in neue-
ster Zeit die geheime Polizeithätigkeit, mit ihren verworfensten
Künsten, hinzugekommen und man will wisfen, daß selbst preu-
ßische Offiziere sich zu Handlangern derselben hergegeben. Die
Wirkung wird ohne Zweifel, 'wenn auch nicht dem Zwecke,
so doch dem Verdienste vollkommen entsprechend sein.
Bei Gelegenheit der Verheirathung einer Nichte des Königs
erfährt die staunende Welt, daß die berüchtigte „Prinzessinnen-
steuer" in Preußen als noch zu Recht bestehend behandelt wird,
und daß, wenn man für dies Mal auf die Erhebung derselben
verzichtet, man doch für künftige Fälle den Anspruch des Hauses
Hohenzollern vorbehält, seine Töchter auf Kosten anderer Leute
mit der erforderlichen Ausstattung zu versehen. Die Gesetze
der Familicnpflicht und die Anstandsbegriffe müssen demnach
in verschiedenen Lcbenssphären wohl sehr verschieden sein.
Der Wirrwarr der österreichischen Staatszustände ist durch
die Einberufung der Provinziallandtage bis jetzt keinesweges
übersichtlicher geworden. Die Mehrzahl derselben ist augen-
scheinlich ihrer selbst nicht sicher, weiß weder, was sie will,
noch was sie soll und kann. In der Wiener Hofburg soll die
auf einigen der Landtage hervortrctende Opposition gegen die
„Sistirung" der Verfassung sehr unangenehm empfunden wer-
den, und da man für den Augenblick wieder leidlich bei Gelde
ist, so wird man es wohl für überflüssig halten, diesen Em-
pfindungen Gewalt anzuthun, wenn der Widerstand der Geg-
ner des Staatsstreichs lästig werden sollte. Bis auf Weiteres
hat es indessen den Anschein, daß dieser Widerstand nicht über
Formalitäten hinausgehen wird. Ist doch selbst gegen die von
 
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