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III. Michelangelo (bis 1520).

H75 —i5Ö4-

Wie ein mächtiger Bergstrom, befruchtend und verwüstend zugleich,
hat die Erscheinung Michelangelos auf die italienische Kunst eingewirkt.
Unwiderstehlich im Eindruck, alle mit sich fortreissend, ist er wenigen
ein Befreier, vielen ein Verderber geworden.

Vom ersten Augenblick an ist Michelangelo eine fertige Persönlich-
keit, in ihrer Einseitigkeit fast furchtbar. Er fasst die Welt als Plastiker
und nur als Plastiker. Was ihn interessiert, ist die feste Form, und der
menschliche Körper allein ist ihm darstellungswürdig. Die Mannigfaltig-
keit der Dinge existiert für ihn nicht. Seine Menschheit ist nicht die
in tausend Individuen differenzierte Menschheit dieser Erde, sondern ein
Geschlecht für sich, von einer ins Gewaltige gesteigerten Art.

Neben der Freudigkeit Lionardos steht er da als der Einsame,
als der Verächter, dem die Welt, wie sie ist, nichts giebt. Er hat wohl
einmal eine Eva, ein Weib in aller Pracht einer üppigen Natur ge-
zeichnet, auf einen Augenblick das Bild der lässigen, weichen Schön-
heit festgehalten, aber das sind nur Augenblicke. Er mag wollen oder
nicht, was er bildet, ist getränkt mit Bitterkeit.

Sein Stil geht auf das Zusammengehaltene, das Massig-Geschlossene.'
Der weitausladende, flüchtige Umriss widerspricht ihm. Die gedrängte
Art der Anordnung, das Verhaltene im Gebahren ist bei ihm Tempera-
mentssache.

Völlig ausser Vergleich steht die Kraft seiner Formauffassung
und die Klarheit des innern Vorstellens. Kein Tasten und Suchen;
mit dem ersten Strich giebt er den bestimmten Ausdruck. Zeichnungen
von ihm haben etwas Durchdringendes. Sie sind ganz gesättigt mit
Form; die innere Struktur, die Mechanik der Bewegung scheint sich
bis auf den letzten Rest in Ausdruck um gesetzt zu haben. Darum zwingt
er den Beschauer unmittelbar zum Miterleben.
 
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