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Wölfflin, Heinrich; Dürer, Albrecht [Ill.]
Die Kunst Albrecht Dürers — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.27918#0204
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Die Xunst Klbrecht Dürers

gewonnen hatte. Er sieht das Große nicht mehr btoß im einzetnen Motiv, das
man da oder dort einschaltet, sondern in der Gesamtantage. Jetzt erst gibt es
entschiedene Über-und UnterordnungimBitde, sührendeThemata,eineRechnung
mit Kontrasten im großen. Das Rosenkranzbitd mirkt noch ungegliedert neben
dem Helter-Altar. Aber eben dieses Rücksichtnehmen auf die Erscheinung ist auch
die Gefahr. Die deutsche Kunst ist furchtbar empsindtich gegen die Schaustellung
der btoßen Form. Auch hier — wer mollte sagen, daß das Formengerüste ganz
gedeckt sei durch die Sache? Und dazu kommt dann sener verhängnisoolle Ehr-
geiz, mit den Jtatienern im ptastischen Reichtum zu metteifern. Bis zu den
hintersten Figuren soll jede eiuzelue durch Wendui^g und Gebärde wieder inter-
essant sein, und dabei kühtt sich die Empsindung natürlich rasch ab.

Aber nun in den Hauptfiguren — mas für denkwürdige Anstrengungen,
das große Sein zu geben! Pautus ist als die bedeutendste Persöntichkeit heraus-
gehoben: kein italienischer Schlvung, nicht die grandiose Freiheit der Bemegung
mie bei einem Bartotommeo, sondern das felsenschmere Dastehen. Das Gemand
bricht sich in zähen Falten. Es ist etmas furchtbar Ernstes, Mühsames, Haf-
tendes in diesen Formen. Eine tangsam, aber unbeugbar mirkende Gemalt.
Der Kopf hat es schmer, daneben zur Geltung zu kommen. Man merkt auch,
er ist nicht im gteichen Zusammenhang, nicht aus demsetben Teig geformt.
Dürcr pftegte die Teile einzetn zu nmdellieren und dann erst zusammenzu-
setzen. Aber auch der Grad der Jdealität ist nicht derselbe. Der Rock ist groß-
artiger als der Mann. Man lernt hier ahnen, was für eine Kraft Dürer auf-
menden mußte, um über das Gemcinbürgertiche hinauszukommen. Nicht daß er
abhängig gemesen märe vom Modell: es sind nach einer bestimmten Seite des
Ausdrucks durchgebildete Tppen dabei, aber mas uürkt, ist doch mehr die Jn-
tensität des Jndividuellen als die Größe der Charaktere. Keiner ist jemals
der Arbeit der Natur in der Bucketung von Stirnen, in raubvogetmäßig ge-
bogeuen Nasen, in den Krümmungen von Jochbein und Kinntade mit zäherem
Drang des Nachertebens nnchgegangen als Dürer, und in machtvollen Greiscn-
köpfen rührt er auch hie und da ans Erhabene, aber dann überläßt er sich
mieder ganz dem Btoß-Sonderbaren und sucht seine Apostetköpfe da, mo die
Natur iu der individuellsten Ausbildung des Kteintichen sich gefallen hatte. Es
sindmerkwürdigeWidersprüche,daßdemgroßenitalienischenBildschemaFiguren
eingefügtmerden wie jener bocksbärtige atte Schneidergeselle — einen mahnwitzig
superktugen, spitälerischen Kopf nennt ihn R. Vischer —, zu dem die Atbertiua die
Zeichnung besitzt (Abb. S. 151). Dürer muß ihn sogar ganz besonders tieb
gehabt haben, denn er bringt ihn später noch einmal auf dem schönen Btatt einer
Versuchung des Antonius von 1521 (ü. 576), allerdings hier in einem Zu-
sammenhang, der eiue leise Komik ertaubt. Bei andern Personen greift er
 
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