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Wölfflin, Heinrich [Hrsg.]; Johannes <Evangelist> [Hrsg.]
Die Bamberger Apokalypse: eine Reichenauer Bilderhandschrift vom Jahre "1000" — München, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.27911#0009
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on den mittelalterlichen Bilderhandschriften, auch wenn es königliche Bestellungen
gewesen sind, ist in weitern Kreisen weniges bekannt. Veröffentlichungen fehlen
nicht, aber sie sind meist sehr kostspielig und nur für Bibliotheken und für die
Benutzung durch Gelehrte bestimmt, und fast alle setzen sie voraus, daß der Betrachter den
Standpunkt schön kenne, den er den Bildern gegenüber einzunehmen habe. Dem Heraus-
geber dieser Apokalypse erschien es als ein erstrebenswertes Ziel, das bedeutende Werk einer
großem Allgemeinheit zugänglich zu machen, und er ist überzeugt, daß gerade unsere Zeit
ein besonderes Interesse dafür haben müsse. Die Erörterung der spezifisch kunstgeschicht-
lichen Fragen, die die Handschrift stellt, soll in den Schriften der Akademie erfolgen. Hier
ist von jeder Heranziehung weitern Materials abgesehen. Um das Zustandekommen der
Veröffentlichung haben sich verdient gemacht: der Vorstand der Bamberger Bibliothek K.
Fischer, der Direktor der Münchner Hof- und Staatsbibliothek H. Schnorr von Carols-
feld und Oberbibliothekar G. Leidinger, sowie der f Syndicus der Akademie K. Mayr.
Herr J. B. Obernetter hat alles aufgewendet, die Lichtdrucke so vollkommen wie möglich
zu machen.

i.

Unser Urteil über Werke frühmittelalterlicher Kunst in der Art der Bamberger Apo-
kalypse hat sich in der letzten Zeit wesentlich verändert. Wenn Franz Kugler einst (1835)
die Zeichnung unserer Handschrift »verschroben-manieriert« und den verwandten Prachtcodex
der Münchner Bibliothek, Cimelie 57, »formlos und widerwärtig« gefunden hat, so haben
zwar Kritiker wie Vöge und Haseloff ein halbes Jahrhundert später von solchen Verneinungen
sich ferngehalten, aber auch ihr Urteil ist noch nicht unabhängig von den Maßstäben einer
naturalistischen Kunst, für die der Wert der Leistung in der mehr oder weniger vollständigen
Wiedergabe des Sichtbaren liegt. Man gab der plastisch-modeliierenden Darstellung in jedem
Fall den Vorzug vor der linear - platten und neben der körperlich glaubhafteren Zeichnung
anderer Llandschriften erschien eine flächenhafte Zeichnung wie die unsere, die die Linie aus
Überzeugung schematisiert und naturalistische Erinnerungen grundsätzlich ausscheidet, als
handwerkliche Flachheit und Beginn des Verfalls. Erst neuerdings — in auffallender Paral-
lelität zu gewissen Entwicklungen der modernen Malerei — ist man auf das Positive der
Wirkung bei dieser sogenannten Erstarrung aufmerksam geworden und hat angefangen, statt
die mindere Qualität zu tadeln, die anders geartete Absicht ins Auge zu fassen.

In der Tat, es geht nicht an, das »gänzliche Fehlen perspektivischer Fähigkeiten« zu
rügen, ohne erst darüber ins Reine gekommen zu sein, ob denn für diese Leute die drei-
dimensionale Darstellung, unsere dreidimensionale Darstellung, überhaupt etwas wertvolles
bedeutete. Offenbar hat hier das Raum- und Körpergefühl nachgelassen, aber damit spricht
man kein Werturteil aus. Nicht um den Gegensatz von guter und schlechter Perspektive
handelt es sich, sondern um Perspektive und Nicht-Perspektive. Nicht um den Gegensatz

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