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ALLGEMEINES ZUR STILBESTIMMUNG

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dem 17. Wie diese letzte durch Rembrandt am vollkommensten vertreten ist, hat
Dürer die mittlere Manier — man kann sie die dekorative nennen — zur Vollendung
gebracht. Als Cinquecentist reicht er aber auch einem Raffael die Hand über die Alpen
hinüber. Es handelt sich hier um allgemein abendländische Prozesse. Es müßte sich
eine Formel finden lassen für die Schönheit des Linienzugs und der Linienintervalle
im 16. Jahrhundert, die gleichmäßige Geltung für den Norden und den Süden hätte.

Ich wiederhole: der Holzschnitt nimmt unmittelbar teil an der Handzeichnung.
Innerhalb des Gebietes der Handzeichnungen aber hat Dürer wieder nach dem Ma-
terial unterschieden, und ihr eigentümlicher Zauber ist wesentlich bedingt durch die
lebendige Empfindung für die Natur des farbgebenden Werkzeugs, d. h. daß die Ent-
stehung des Striches in ganzer sinnlicher Fülle dem Gefühl sich vernehmlich macht.
Die Kohle, die breit angibt, will mit saftigem Zug geführt sein, wie der. Bogen auf
einem volltönenden Saiteninstrument, die markige Kreide verlangt mehr Zurück-
haltung im Strich, bei der Feder soll man das leichte Rinnen der Linien spüren. Den
Federzeichnungen hat Dürer durchweg einen eignen Geist der Leichtigkeit bewahrt:
nur aus dem Anfang gibt es umständlicher durchgeführte Zeichnungen in dieser
Technik. Entschieden ablehnend ist der traditionelle Silberstift behandelt. Wenn man
von einer Lieblingstechnik sprechen soll, so wäre es am ehesten die Feder, nur gehört
zum vollständigen Eindruck noch das alte ,,währschafte“ Papier: moderne Repro-
duktionen, auch wenn sie noch so vollkommen sind, verfälschen mit dem glatten
Kunstdruckpapier die Stimmung.

2.

Daß Dürer für die deutsche Kunst der Mann des Schicksals werden konnte, lag zu
allererst an seiner plastischen Begabung. Es war notwendig, wenn die Idee einer geo-
metrisch-klaren Raumanschauung Fuß fassen sollte, daß ein Künstler kam, dessen
Sinne mit der Kraft der Einseitigkeit auf das körperlich Greifbare und Tastbare ge-
richtet waren, der die Dinge im Raum wirklich als luftverdrängend empfand und
dem ihre Schwellungen und Wölbungen zum starken sinnlichen Erlebnis wurden.
Das ist bei Dürer der Fall. Mit einer Art von Leidenschaft hat er die körperliche Form
umfaßt und das Auf und Ab, das Auswärts und Einwärts der Flächen als wirkliche
Bewegung erlebt. Diese Sinnlichkeit der Anschauung ist es, die ihn die neuen Linien
finden ließ und seine Darstellung unmittelbar ansteckend macht. Was immer es sei:
wenn man von Dürer herkommt, empfindet man lebendiger, wie sich die Form im
Raume regt und reckt. Es mag ein bloßes Blumengewächs sein, so wird man den
wunderbaren Willen in der Gestalt stärker wirksam fühlen, wie der Stengel sich in
die Höhe drängt, wie die Blätter abgehen und ihre eigene Richtung haben wollen,
wie sie sich gebärden in ihren Endigungen, zackig oder lappig, mit starr ausgestreckten
Rändern oder weich und saftig'gerollt, und man ist vollends in Dürerischer Stimmung,
wenn man nun so ein Wäldchen von Stielen als eine Welt für sich begriffen hat, voll
 
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