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DIE KUNSTALBRECHTDÜRERS
seinem schweren Daliegen einen durchaus neuen Charakter hat, und daß die ge-
brochene Begegnung von Brust und Unterleib, die hängende Schulter, die Wendung
des Kopfes, die ganze Silhouettenführung der oberen Seite von einer etwas unge-
schlachten, aber sehr eindrucksvollen Art ist1)- Lähmend in dem Zusammenhang
wirkt der linke Arm, der ursprünglich sicher Stützarm gewesen ist, aber es nicht blieb
der Verbindung mit der zweiten Figur zuliebe. Ich bin überzeugt, daß Dürer auch hier
ein fremdes, italienisches Vorbild gehabt hat, das er in seiner Weise verarbeitete2).
Der Meerunhold, wie gesagt, ist nicht viel mehr als ein Lückenbüßer. Der greifende
Arm bleibt unentwickelt, und man sieht nicht recht ein, wo die Frau aufliegt. Doch
hat der Kopf, ein alter Försterkopf, sein individuelles Interesse.
Und das ist es eben, was bei all diesen Dingen so eigentümlich wirkt: daß Abgeleitetes
und Ursprüngliches, Naturnahes und Naturfernes nebeneinander stehen, und daß bei
dem mühsamen Ringen mit dem Hauptproblem, der Figur, noch ein tröstlicher Kraft-
überschuß bleibt, der sich in dem fröhlichen Wellengekräusel ebenso laut kundgibt
wie in dem reichbesetzten bergigen Ufer, das hoch hinauf den Hintergrund füllt3).
Das Blatt hat einen malerischen Charakter, der über alles Ältere hinausgeht: der Ton
des dunklen Wassers, auf dem der weiße Körper steht, oder das Helldunkel des be-
schatteten Schenkels sind in guten Drucken von einer sehr feinen Wirkung. Den
jungen Dürer aber wird man von vornherein an der höchst originellen und kecken
Fleckenverteilung erkennen, und die Durchführung der Schräglinie des Bergabhangs
durchs ganze Bild ist eine Kühnheit ohnegleichen gewesen.
Nach dem ,,Meerwunder“ macht Dürer einen noch bedeutenderen Anlauf: er ver-
feinert die Zeichnung, steigert den Maßstab, nimmt das Problem der Bewegung mit
auf und versucht vier, fünf Figuren zu einer tektonischen Gruppe zusammenzu-
schließen. Es entsteht der sogenannte ,,große Herkules“. Aber wieder keine Natur,
kein Bilden aus erster Hand, sondern ein Arbeiten mit geprägten Formen, die der
italienischen Kunst entnommen sind.
Der Stoff ist seltsam und nur aus der humanistischen Mythologie erklärbar. Sicher
aber ist, daß Dürer den Namen Herkules mit diesem Stich verband4). Populär heißt
er ,,die Eifersucht“. Soviel ist klar: das Liebespaar, der Satyr mit dem nackten
Weib im Schoß, wird angegriffen. Eine langbekleidete Frau, hochaufgerichtet, holt
zum Schlage gegen beide aus. Ein starker nackter Mann tritt hinzu, er hält mit beiden
Händen einen Baumstamm empor — will auch er die Liebenden damit treffen, oder
kommt er zum Schutze? Schon hier stockt die Erklärung. Die Art, wie der Baum-
stamm gefaßt ist — mit lockeren Fingern — sieht so aus, als ob die Waffe zum Pa-
rieren gebraucht würde, aber dem widerspricht die Richtung des Blickes. Also ist es
doch ein Angreifer? Und wenn Dürer ihn Herkules nannte, sollte das überraschte
Paar dann nicht Dejanira sein mit ihrem Entführer, dem Kentauren Nessus? Man
hat so interpretiert. Daß Nessus als Satyr und nicht als Kentaur erscheint, wäre kein
Hindernis für diese Erklärung, da die Verwechslung von Satyr und Kentaur auch
sonst vorkommt. Aber warum fehlt der Pfeil des Herkules, in dem doch die Pointe
DIE KUNSTALBRECHTDÜRERS
seinem schweren Daliegen einen durchaus neuen Charakter hat, und daß die ge-
brochene Begegnung von Brust und Unterleib, die hängende Schulter, die Wendung
des Kopfes, die ganze Silhouettenführung der oberen Seite von einer etwas unge-
schlachten, aber sehr eindrucksvollen Art ist1)- Lähmend in dem Zusammenhang
wirkt der linke Arm, der ursprünglich sicher Stützarm gewesen ist, aber es nicht blieb
der Verbindung mit der zweiten Figur zuliebe. Ich bin überzeugt, daß Dürer auch hier
ein fremdes, italienisches Vorbild gehabt hat, das er in seiner Weise verarbeitete2).
Der Meerunhold, wie gesagt, ist nicht viel mehr als ein Lückenbüßer. Der greifende
Arm bleibt unentwickelt, und man sieht nicht recht ein, wo die Frau aufliegt. Doch
hat der Kopf, ein alter Försterkopf, sein individuelles Interesse.
Und das ist es eben, was bei all diesen Dingen so eigentümlich wirkt: daß Abgeleitetes
und Ursprüngliches, Naturnahes und Naturfernes nebeneinander stehen, und daß bei
dem mühsamen Ringen mit dem Hauptproblem, der Figur, noch ein tröstlicher Kraft-
überschuß bleibt, der sich in dem fröhlichen Wellengekräusel ebenso laut kundgibt
wie in dem reichbesetzten bergigen Ufer, das hoch hinauf den Hintergrund füllt3).
Das Blatt hat einen malerischen Charakter, der über alles Ältere hinausgeht: der Ton
des dunklen Wassers, auf dem der weiße Körper steht, oder das Helldunkel des be-
schatteten Schenkels sind in guten Drucken von einer sehr feinen Wirkung. Den
jungen Dürer aber wird man von vornherein an der höchst originellen und kecken
Fleckenverteilung erkennen, und die Durchführung der Schräglinie des Bergabhangs
durchs ganze Bild ist eine Kühnheit ohnegleichen gewesen.
Nach dem ,,Meerwunder“ macht Dürer einen noch bedeutenderen Anlauf: er ver-
feinert die Zeichnung, steigert den Maßstab, nimmt das Problem der Bewegung mit
auf und versucht vier, fünf Figuren zu einer tektonischen Gruppe zusammenzu-
schließen. Es entsteht der sogenannte ,,große Herkules“. Aber wieder keine Natur,
kein Bilden aus erster Hand, sondern ein Arbeiten mit geprägten Formen, die der
italienischen Kunst entnommen sind.
Der Stoff ist seltsam und nur aus der humanistischen Mythologie erklärbar. Sicher
aber ist, daß Dürer den Namen Herkules mit diesem Stich verband4). Populär heißt
er ,,die Eifersucht“. Soviel ist klar: das Liebespaar, der Satyr mit dem nackten
Weib im Schoß, wird angegriffen. Eine langbekleidete Frau, hochaufgerichtet, holt
zum Schlage gegen beide aus. Ein starker nackter Mann tritt hinzu, er hält mit beiden
Händen einen Baumstamm empor — will auch er die Liebenden damit treffen, oder
kommt er zum Schutze? Schon hier stockt die Erklärung. Die Art, wie der Baum-
stamm gefaßt ist — mit lockeren Fingern — sieht so aus, als ob die Waffe zum Pa-
rieren gebraucht würde, aber dem widerspricht die Richtung des Blickes. Also ist es
doch ein Angreifer? Und wenn Dürer ihn Herkules nannte, sollte das überraschte
Paar dann nicht Dejanira sein mit ihrem Entführer, dem Kentauren Nessus? Man
hat so interpretiert. Daß Nessus als Satyr und nicht als Kentaur erscheint, wäre kein
Hindernis für diese Erklärung, da die Verwechslung von Satyr und Kentaur auch
sonst vorkommt. Aber warum fehlt der Pfeil des Herkules, in dem doch die Pointe