NEUER GRAPHISCHER STIL. DIE KLEINERN PASSIONEN
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feren Ökonomie. Sogar der Eindruck des reflexerhellten Schattens, das zitternde
Halblicht, ist dieser Linienkunst zugänglich gewesen.
Das Tektonische der Figurenfügung bedarf keines besonderen Hinweises. Symme-
trische Kulissen im Vordergrunde, durch kontrastierende Bewegung interessant ge-
macht. Der weineinschenkende Wirt beugt aus keinem anderen Grunde sich uns ent-
gegen, als weil Judas auf der anderen Seite sich ins Bild hineinbeugt. Er ist die be-
schattete Figur, der andere die belichtete. Das sind italienische Rezepte. Wie dann
die Hauptfigur mit den Eckfiguren zusammengeht und die übrige Gesellschaft sich
duckt, kommt aus derselben Quelle, und bei den Verbindungsmotiven der Jünger
(unter sich) muß man direkt an Lionardo erinnert werden1).
Ob bei alledem die Empfindung gewonnen habe, ist eine andere Frage. Dürer hat
später (1523) ein Abendmahl entworfen, das kein günstiges Licht auf unser Stück
wirft. Es erscheint etwas gleichgültig daneben. Ich würde aber auch denen recht ge-
ben, die in der ganzen Art der Zeichnung eine Abkühlung fühlen und den alten Holz-
schnittstil trotz aller Unscheinbarkeit als den wärmeren, innerlich lebendigeren lieber
haben.
Was sonst noch zu dieser Gruppe ergänzender Blätter gehört, der Titel, die Gefangen-
nahme, Christus in der Vorhölle und die im Lichteffekt besonders glanzvolle Aufer-
stehung wird weiter unten in der vergleichenden Passionsbetrachtung besprochen
werden. Im Marienleben sind es wieder, abgesehen vom Titel, nur der Tod und die
Krönung Mariä, die dem Jahre 1510 angehören.
Die Krönung hat ihr besonderes Interesse, weil sie im Stoff mit dem Hellerschen
Altar zusammengeht, und man hier gut sieht, wie Dürer unterscheidet zwischen mo-
numental und nicht monumental. Es ist eine Beobachtung, die schon Thausing ge-
macht hat, daß der Christus des Holzschnittes gebetbuchmäßig-sentimental behandelt
ist in der süßlichen Haltung des Kopfes und der angelegentlichen Vorwärtsbewegung
der Brust. Die vorbereitende Zeichnung, die nur in Kopien erhalten ist, Berlin und
Mailand, Ambrosiana (L. 27 u. W. II. XXIII), hat diesen Zug noch nicht, und auch
die Vereinfachung in der Disposition der Arme, daß beidemal der rückwärtsliegende
die Krone faßt, ist erst nachträglich als die allein holzschnittmäßige Lösung der Auf-
gabe empfunden worden.
Auch zum Tod der Maria besitzen wir noch eine Vorzeichnung (Albertina, L. 474,
Wö.45). Sie gilt als wesentlich früher als der Schnitt, allein die tonige Schraffierung
wie die Figurenordnung zeigen doch, daß sie nicht im Zusammenhang der alten
Marienblätter entstanden sein kann. In der endgültigen Redaktion sind dann nur die
Schatten zu größeren Massen zusammengestrichen und die Lichter sprechender ge-
macht worden. Das Bett wurde verkleinert in der Erscheinung des Fußendes, wie
namentlich im Himmel, und es ist eine besonders lehrreiche Korrektur, wie von den
Bettvorhängen, die ursprünglich beide gleichmäßig aufgeknüpft waren, der eine auf-
gelöst und zum Rande hinübergezogen wurde, weil nur auf diese Weise der Vorgang
am Lager der Sterbenden dem Beschauer gleich als der wesentliche Inhalt empfohlen
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feren Ökonomie. Sogar der Eindruck des reflexerhellten Schattens, das zitternde
Halblicht, ist dieser Linienkunst zugänglich gewesen.
Das Tektonische der Figurenfügung bedarf keines besonderen Hinweises. Symme-
trische Kulissen im Vordergrunde, durch kontrastierende Bewegung interessant ge-
macht. Der weineinschenkende Wirt beugt aus keinem anderen Grunde sich uns ent-
gegen, als weil Judas auf der anderen Seite sich ins Bild hineinbeugt. Er ist die be-
schattete Figur, der andere die belichtete. Das sind italienische Rezepte. Wie dann
die Hauptfigur mit den Eckfiguren zusammengeht und die übrige Gesellschaft sich
duckt, kommt aus derselben Quelle, und bei den Verbindungsmotiven der Jünger
(unter sich) muß man direkt an Lionardo erinnert werden1).
Ob bei alledem die Empfindung gewonnen habe, ist eine andere Frage. Dürer hat
später (1523) ein Abendmahl entworfen, das kein günstiges Licht auf unser Stück
wirft. Es erscheint etwas gleichgültig daneben. Ich würde aber auch denen recht ge-
ben, die in der ganzen Art der Zeichnung eine Abkühlung fühlen und den alten Holz-
schnittstil trotz aller Unscheinbarkeit als den wärmeren, innerlich lebendigeren lieber
haben.
Was sonst noch zu dieser Gruppe ergänzender Blätter gehört, der Titel, die Gefangen-
nahme, Christus in der Vorhölle und die im Lichteffekt besonders glanzvolle Aufer-
stehung wird weiter unten in der vergleichenden Passionsbetrachtung besprochen
werden. Im Marienleben sind es wieder, abgesehen vom Titel, nur der Tod und die
Krönung Mariä, die dem Jahre 1510 angehören.
Die Krönung hat ihr besonderes Interesse, weil sie im Stoff mit dem Hellerschen
Altar zusammengeht, und man hier gut sieht, wie Dürer unterscheidet zwischen mo-
numental und nicht monumental. Es ist eine Beobachtung, die schon Thausing ge-
macht hat, daß der Christus des Holzschnittes gebetbuchmäßig-sentimental behandelt
ist in der süßlichen Haltung des Kopfes und der angelegentlichen Vorwärtsbewegung
der Brust. Die vorbereitende Zeichnung, die nur in Kopien erhalten ist, Berlin und
Mailand, Ambrosiana (L. 27 u. W. II. XXIII), hat diesen Zug noch nicht, und auch
die Vereinfachung in der Disposition der Arme, daß beidemal der rückwärtsliegende
die Krone faßt, ist erst nachträglich als die allein holzschnittmäßige Lösung der Auf-
gabe empfunden worden.
Auch zum Tod der Maria besitzen wir noch eine Vorzeichnung (Albertina, L. 474,
Wö.45). Sie gilt als wesentlich früher als der Schnitt, allein die tonige Schraffierung
wie die Figurenordnung zeigen doch, daß sie nicht im Zusammenhang der alten
Marienblätter entstanden sein kann. In der endgültigen Redaktion sind dann nur die
Schatten zu größeren Massen zusammengestrichen und die Lichter sprechender ge-
macht worden. Das Bett wurde verkleinert in der Erscheinung des Fußendes, wie
namentlich im Himmel, und es ist eine besonders lehrreiche Korrektur, wie von den
Bettvorhängen, die ursprünglich beide gleichmäßig aufgeknüpft waren, der eine auf-
gelöst und zum Rande hinübergezogen wurde, weil nur auf diese Weise der Vorgang
am Lager der Sterbenden dem Beschauer gleich als der wesentliche Inhalt empfohlen