Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
SPÄTGOTIK UND RENAISSANCE. DIE ARBEITEN FÜR KAISER MAX 285

2.
Das Gebetbuch des Kaisers Max(i5i5). Die Aufgabe lautete, den Prachtdruck
eines Gebetbuches auf Pergament mit Randverzierungen zu schmücken. Dürer war
nicht der einzige Künstler, der dazu befohlen wurde, Cranach, Baldung u. a. arbei-
teten mit, doch er war die Hauptperson dabei und er hat jedenfalls den Stil bestimmt.
Es sollten nicht Miniaturen sein, sondern Federzeichnungen, Zieraten also, die ge-
wissermaßen aus dem gleichen Element wie der Text entwickelt waren. In den Lettern,
wenn sie auch gedruckt waren, klang immer noch der Zug der Feder nach, der Satz
war Linienwerk so gut wie die Zeichnungen, die ihn in farbiger (jetzt sehr verblaßter)
Tinte bald rötlich, bald violett oder grüngelb umspielten1).
Zum Genuß dieser Zeichungen gehört nun vor allem, daß man ihnen das Mühelose
ihrer Entstehung anmerke, das gleichmäßig Flüssige, das Behagen des Strichs. Jede
Nachbildung, die das nicht gibt, ist verfehlt, und verkleinerte Kopien, wie unsre
Illustrationen, sind ganz außerstande, das Temperament der Zeichnungen spüren zu
lassen. Es sind Federspiele. Der Zeichner läßt sein Instrument in allen Arten auf dem
schönen Pergament sich tummeln. Bald gibt er die Linien als leichtes Geriesel, bald
breit strömend, da ist es der schnörkelhaft ausfahrende und dort der kraus sich ver-
schlingende Federstrich. Dieses Schwelgen in der Freiheit wäre sehr merkwürdig,
wenn die Behauptung Giehlows zu Recht bestünde, die Zeichnungen seien zur Über-
tragung auf den Holzstock bestimmt gewesen, Leidinger hat aber dagegen gewichtige
Einwendungen machen können2).
Dazu kommt eine zweite Forderung: man muß den Text mit den Zeichnungen zu-
sammensehen. Nicht wegen der inhaltlichen Beziehung — das ist etwas Selbstverständ-
liches —, sondern weil die Randdekorationen ihren künstlerischen Sinn erst durch
den Kontrast zu dem Letternfelde der Mitte erhalten, wo eng zusammengerückt die
starken gotischen Typen stehen in glänzender Schwärze. Diesen starren stacheligen
Satz umfassen und umgaukeln die leicht beschwingten farbigen Zeichnungen, dem
Gebundenen den Gegensatz des Gelösten und dem Gedrängten den Gegensatz des Ge-
lockerten an die Seite setzend. Man durchschneidet den Nerv der Wirkung, wenn man
den Text herausnimmt und die Ranken sich selbst überläßt; eine gewisse Wirkung
werden sie immer noch machen, aber es ist nicht die ursprüngliche, fast so als wollte
man eine musikalische Begleitung für sich allein zu Gehör bringen ohne das Thema.
Ganz unerträglich aber ist es, wenn Text und Randdekoration mit durchgezogenen
Linien voneinander getrennt werden. Sie bilden einen Gegensatz, aber die spielende
Welle muß frei an den Rand des Schriftfeldes anschlagen können, und von den Buch-
staben ist denn auch der eine oder andere zum übergreifenden Schnörkel ausgefranst
worden.
Auch in der Auffassung besteht ein gewisser Gegensatz zwischen Zeichnung und
Text. So edel die Darstellung gewisser Dinge ist, so schlägt doch das Fromme jeden
Augenblick ins Burleske über. Man muß lachen, wenn die Worte: ,,Führe uns nicht
 
Annotationen