DIE NIEDERLÄNDISCHE REISE
UND DIE LETZTEN WERKE
i.
Mit der niederländischen Reise beginnt die letzte und in gewissem Sinne
die größte Periode Dürers. Als Fünfziger erlebte er damals eine Er-
frischung des Auges, wie man sie eigentlich nur noch einmal so in einem
Malerleben kennt, bei Rubens nämlich. Was für den alternden Rubens
die Verbindung mit einer zweiten jungen geliebten Frau bedeutete, daß ihm mit einem
Male neue Quellen sprangen und tiefere als vordem, das wurde fiir Diirer diese Reise.
Er reist als der Mann, der bereits iiber einen Weltruhm verfiigt. Nicht mehr wie
seinerzeit in Italien ringt er mit einer fremden Kunst. Was er sah, war stammver-
wandte Kultur und auch in den romanistischen Tendenzen der damaligen ,,Mo-
dernen“ in Belgien erkannte er nur die eigene Vergangenheit. Und so verschieden
auch das Gebaren dieser Leute war, er läßt sich nicht mehr aus dem Kurs bringen.
Aber als ob ein Tauwind über den winterharten Boden gegangen wäre, regt sich’s
plötzlich bei ihm von vielerlei Keimen; alte Eindrücke werden lebendig; was erwächst,
braucht gar keinen unmittelbaren Zusammenhang zu haben mit niederländischer Art,
aber trotzdem hat es fiir Diirer des fremden Landes bedurft, um die Kraft zu gewinnen,
wieder Großes zu wollen. Daß es nur die Augen gewesen sind, die ihn zum neuen
Menschen machten, sage ich nicht. In der einleitend vorausgeschickten Lebens-
skizze ist angedeutet worden, was fiir Erfahrungen innerlichster Art in den refor-
matorischen Kreisen Antwerpens Diirer damals machen durfte.
Immerhin, er war Maler und darum auf die sinnliche Erscheinung der Welt zuerst
hingewiesen. Die Niederlande konnten noch immer den Vorrang verfeinerter Sinnen-
kultur im Abendland beanspruchen. Seit den Van Eycks war die intensive kiinstle-
rische Produktion nicht unterbrochen worden. Es fehlten weder die großen Talente
noch die großen Aufgaben. In der Pracht niederländischen Städtelebens mochte
selbst ein Nürnberger Bürger sich leicht etwas provinzlerisch vorkommen. Was Dürer
mitbrachte, war eine ungeheure Sehlust. Alles sieht er sich ganz genau an, Kunst
und Leben, Bilder und Festzüge, er porträtiert hoch und niedrig, auch ohne Bestellung,
nur für sich, er kauft schöne Geweihe und Kuriositäten, interessiert sich für einen
Walfisch, den die Flut ans Land geschwemmt, so stark, daß er mitten im Winter
einen Ausflug von einigen Tagen unternimmt, und ist überglücklich, die ersten
wunderbaren Dinge zu Gesicht zu bekommen, die der neuentdeckte Kontinent her-
übersandte. Er ist gesprächig in seinem Tagebuch. In allem spürt man das Wohlbe-
finden eines Mannes, den jeder Tag etwas Neues lehrt.
UND DIE LETZTEN WERKE
i.
Mit der niederländischen Reise beginnt die letzte und in gewissem Sinne
die größte Periode Dürers. Als Fünfziger erlebte er damals eine Er-
frischung des Auges, wie man sie eigentlich nur noch einmal so in einem
Malerleben kennt, bei Rubens nämlich. Was für den alternden Rubens
die Verbindung mit einer zweiten jungen geliebten Frau bedeutete, daß ihm mit einem
Male neue Quellen sprangen und tiefere als vordem, das wurde fiir Diirer diese Reise.
Er reist als der Mann, der bereits iiber einen Weltruhm verfiigt. Nicht mehr wie
seinerzeit in Italien ringt er mit einer fremden Kunst. Was er sah, war stammver-
wandte Kultur und auch in den romanistischen Tendenzen der damaligen ,,Mo-
dernen“ in Belgien erkannte er nur die eigene Vergangenheit. Und so verschieden
auch das Gebaren dieser Leute war, er läßt sich nicht mehr aus dem Kurs bringen.
Aber als ob ein Tauwind über den winterharten Boden gegangen wäre, regt sich’s
plötzlich bei ihm von vielerlei Keimen; alte Eindrücke werden lebendig; was erwächst,
braucht gar keinen unmittelbaren Zusammenhang zu haben mit niederländischer Art,
aber trotzdem hat es fiir Diirer des fremden Landes bedurft, um die Kraft zu gewinnen,
wieder Großes zu wollen. Daß es nur die Augen gewesen sind, die ihn zum neuen
Menschen machten, sage ich nicht. In der einleitend vorausgeschickten Lebens-
skizze ist angedeutet worden, was fiir Erfahrungen innerlichster Art in den refor-
matorischen Kreisen Antwerpens Diirer damals machen durfte.
Immerhin, er war Maler und darum auf die sinnliche Erscheinung der Welt zuerst
hingewiesen. Die Niederlande konnten noch immer den Vorrang verfeinerter Sinnen-
kultur im Abendland beanspruchen. Seit den Van Eycks war die intensive kiinstle-
rische Produktion nicht unterbrochen worden. Es fehlten weder die großen Talente
noch die großen Aufgaben. In der Pracht niederländischen Städtelebens mochte
selbst ein Nürnberger Bürger sich leicht etwas provinzlerisch vorkommen. Was Dürer
mitbrachte, war eine ungeheure Sehlust. Alles sieht er sich ganz genau an, Kunst
und Leben, Bilder und Festzüge, er porträtiert hoch und niedrig, auch ohne Bestellung,
nur für sich, er kauft schöne Geweihe und Kuriositäten, interessiert sich für einen
Walfisch, den die Flut ans Land geschwemmt, so stark, daß er mitten im Winter
einen Ausflug von einigen Tagen unternimmt, und ist überglücklich, die ersten
wunderbaren Dinge zu Gesicht zu bekommen, die der neuentdeckte Kontinent her-
übersandte. Er ist gesprächig in seinem Tagebuch. In allem spürt man das Wohlbe-
finden eines Mannes, den jeder Tag etwas Neues lehrt.