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DIE KUNSTALBRECHTDÜRERS

in Versuchung“ durch einen Fuchs illustriert werden, der mit Flötenspiel die Hühner
lockt (ein altes Thema), aber auch die ornamentalen Motive sind von einer ausge-
lassenen Munterkeit, und selbst da, wo der erste Anblick ernsthaft scheint, kann
man plötzlich ein verhaltenes Kichern aus irgendeinem Winkel ertönen hören.
Es liegt im Charakter der Aufgabe, daß die Zeichnungen nicht stark aus dem Flächen-
haften herausdrängen. Dürer weiß wohl, warum er keine ausgebildeten Geschichten
hinsetzt und die räumlichen Situationen nie ernsthaft durchführt. Er gibt nicht
illustrierte Randnoten wie Holbein in den Zeichnungen zum ,,Lob der Narrheit“,
| sondern will den Rand als Ganzes dekorieren und darum hält er den Eindruck im
wesentlichen streifen- und bandförmig. Beständig wird man von einer Wirklichkeit
in eine andere übergeführt: das Bäumchen, das, im Zusammenhang mit einer Fi-
gurengruppe, am Fuß der Seite aus dem Boden aufwächst, holt plötzlich zu wunder-
baren Sprüngen aus und klettert als Ranke am Rand empor. Es gibt keinen einheit-
lichen Größenmaßstab? Alle Gesetze der Wirklichkeit sind aufgehoben. In buntestem
Wechsel drängen sich die Formen, phantastisch entwickelt sich eins aus dem andern,
» und man kann nicht sagen, wo der Zweig aufhört und wo der Schnörkel anfängt.
Und obwohl ja das Körperlich-Dichte nicht fehlt, sind die stofflichen Elemente doch
alle mehr oder weniger nur als Anlaß zu Linienspielen benützt, oder richtiger gesagt,
Körperhaftes und Linear-Flächenhaftes ist in der wunderlichsten Weise durchein-
ander geflochten. Schon die besten Mitarbeiter Dürers lassen diesen Reiz entbehren;
Cranach und Baldung sind auch Virtuosen der Linie, aber neben Dürer wirken sie
schwer. Sie sind zu ernsthaft, zu sachlich.
Es gäbe eine lange Ausführung, wenn man das Stoffliche beschreiben wollte, das alles
verarbeitet worden ist bei Dürer. Von der Menschenfigur durch das Tier- und Pflanzen-
reich geht es bis zu den bloß geometrischen Formen, Schalen, Säulen u. dgl1).
Das Prinzip der Flächenbesetzung wechselt. Manchmal ist es ein rein malerisches:
das Rankenwerk schlägt seine Purzelbäume und wirft sich herum, scheinbar ganz
^ ohne Regel und Gesetz, manchmal ist es auch ein mehr tektonisches, und es v/ird
ein Vertikalmotiv mit festgehaltener Mittelachse symmetrisch entwickelt. Das sind
indessen die Ausnahmen, und die Symmetrie scheint beinahe nur da zu sein, um
gleich wieder durchbrochen zu werden. Der Hauptakzent verschiebt sich beständig.
Darin liegt der Unterschied gegen italienische Füllungen, die immer gleichmäßig
entwickelt sind, sei es, daß ein Mittelstamm sichtbar durchgeführt ist, oder daß die
Motive nur an einem idealen Faden aufgereiht sind. Jedenfalls herrscht die geome-
trische Achse. Eine Randdekoration wird in Italien nach demselben Prinzip behandelt
wie eine Pilasterfüllung. Gerade hier hatte nun die italienische Kunst eine eigenartige
Schönheit gefunden, indem sie ungleichartige, mehr oder weniger in sich geschlossene
Teile sich folgen ließ und der Folge eine bestimmte rhythmische Notwendigkeit mit-
zuteilen wußte. Die Gotik kannte etwas Ähnliches nicht. Auf den Norden hat dies
System von Vertikaldekoration aber bald einen großen Eindruck gemacht, und Dürer,
wie gesagt, hat wenigstens in einigen Blättern auch sein Glück damit versucht.
 
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