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Woermann, Karl [Editor]
Die antiken Odyssee-Landschaften vom Esquilinischen Hügel zu Rom: in Farben-Steindruck — München, 1876

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https://doi.org/10.11588/diglit.3256#0021
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architektonische Eintheilung unserer Bilder, die soliden gemalten Pilaster, die in ihrer Art strengen Kapitale,
die immerhin deutlich gemeinte Nachbildung des Gebälks in ihrer GesammtWirkung betrachten und uns
zugleich der phantastischen, unmöglichen Architekturprobleme der herkulanischen und pompejanischen
Wandmalereien erinnern, über deren Aufkommen Vitmv klagt, indem er ihnen ausdrücklich die älteren,
unter Anderem mit Odysseelandschaften geschmückten Portiken entgegenhält, so dürfen wir die Aus-
führung in der That später, als in Vitnws Zeit nicht setzen. Die Ergebnisse der Untersuchung der Zeit,
wann das Gebäude errichtet, erhalten also doch aus den Gemälden selbst ihre Bestätigung, und Alles in
Allem dürfen wir es als erwiesen ansehen, dass die auf uns gekommenen esquilmischen Wandgemälde
von einem routinirten Dekorationshandwerker spätestens zur Zeit des August/is ausgeführt sind, sei dies
nun ein Römer, oder was schon wegen der griechischen Inschriften immerhin wahrscheinlicher ist, einer
der vielen nach Rom gewanderten Griechen gewesen.

Haben wir somit in der ausführenden Hand nicht die Hand eines schöpferischen Originalgenies,
sondern nur diejenige eines geschickten Nachahmers erkannt, so taucht für uns sofort die viel wichtigere und
interessantere Frage auf, wann, wo und durch wen die Gattung, zu welcher unsere Bilder gehören,
ja, eventuell geradezu die Originale, nach denen unser Kunsthandwerker gearbeitet, in's Leben gerufen
worden und vielleicht in echt künstlerischer, gehaltvollerer Weise existirt haben. Jene schon wiederholt
angezogene Stelle VitnrJs (Üb. VII cap. 5) gibt uns die besten Anknüpfungspunkte zur Beantwortung
dieser Frage. Vitruv redet hier nämlich von der Wandmalerei; und bei dieser Gelegenheit gibt er uns
zu dem Zwecke, die leichte, haltlose Manir der zu seiner Zeit aufgekommenen Wanddekoration recht klar
zu stellen, zunächst eine Beschreibung dessen, was man in der guten alten Zeit gemalt habe: insbesondere
von Gängen (ambulationes) redet er, welche wegen ihrer Längenausdehnung (propter spatia Iongitudinis)
mit landschaftlichen Darstellungen verschiedenster Art (varietatibus topiorum), die als Häfen, Vorgebirge,
Küsten, Flussdarstellungen u. s. w. spezialisirt werden, geschmückt worden seien; mitunter aber seien
auch Historienbilder gemalt worden oder die Irrfahrten des Ulysses mit landschaftlichem
Hintergrunde9). Hier also wird die Erfindung der Odysseelandschaften den „antiqui" zugeschrieben;
natürlich sind wir berechtigt, auch unsere Odysseelandschaften der von Vztruv gemeinten Klasse zuzu-
rechnen, um so mehr, da auch ihre strengere architektonische Einfassung, wie sie Vitmv gerade der
späteren „Rohrstengel- und Kandelaber-Architektur" entgegensetzen will, dazu stimmt, So also haben
die antiqui, die Alten, gemalt! Wer aber waren diese antiqui? Schon Heibig w) hat sehr wahrscheinlich
gemacht, dass unter den Alten, denen solche Odysseelandschaften zugeschrieben werden, nur die Hellenen
der alexandrinischen Zeit gemeint sein können. Dass es sich um Griechen handelt, beweisen übrigens
einerseits die von Vziruv gebrauchten griechischen Benennungen; euripi, topia, megalographia, andererseits
die griechischen Inschriften selbst auf unseren Bildern. Dass aber unter diesen Griechen der alten Zeit
keine früheren als die alexandrinischen gemeint sein können, lässt sich, ausser aus dem Sprachgebrauch,
auch aus der Sache, nämlich unserer ganzen Kenntniss der Entwicklung der griechischen Kunst und des
Entwicklungsganges des landschaftlichen Natursinns der Griechen nachweisen. Ich habe mich schon an
anderer Stelle11) bemüht, nachzuweisen, dass, soweit wir es aus der Poesie, der Gartenkunst und der
ganzen Lebensanschauung zu schliessen berechtigt sind, eine selbständige Landschaftsmalerei vor der
alexandrinischen Epoche sehr unwahrscheinlich gewesen; das Schweigen der erhaltenen Schriftsteller über
die alte Malerei in Bezug auf landschaftliche Darstellungen in älterer Zeit bestätigt unsere Ansicht; und
Vitmv selbst setzt an der angeführten Stelle ja diejenigen antiqui, welche die genannten landschafüichen
Gegenstände und Odysseelandschaften gemalt, durch das trennende Wort „postea", später, ausdrücklich
den älteren antiqui der früheren Zeit entgegen. Endlich kennen wir aus Plastik und Vasenmalerei die
Auffassung und den Stil des Figürlichen der verschiedenen Epochen sehr wohl und sind daher vollberechtigt,
zu behaupten, die bewegten und erregten, im äusseren Pathos den Figuren der Gruppe des farnesischen
Stiers verwandten Stellungen der Laistrygonen z. B. deuteten darauf hin, dass der Ursprung unserer Bilder
früher als in der alexandrinischen Epoche nicht zu suchen sei. Ob der roJtoypa<po<; Dcmetrios, wie Heibig,
mit dem ich in dieser Frage sonst ganz übereinstimme, annimmt (a. a. O. S. 399), als Vater unserer Gattung,
als erster Darsteller der topia anzusehen sei, kann uns bei so vielen anderen Gründen gleichgültig sein.
Wäre es aber auch erwiesen, dass die Prospektenmalerei ihm ihre Entstehung verdanke, so bliebe es doch
gewagt, gerade unsere Odysseelandschaften mit ihm in Verbindung zu bringen. Soviel dürfen wir aber
nach Allem als sicher ansehen, dass ihre Erfindung der alexandrinischen, hellenistischen Epoche angehört.

Schwierig, aber wichtig ist die Frage, wie wir uns das Verhältniss jener Vorbilder zu diesen
Nachbildungen zu denken haben. Sicher liegen keine getreuen Kopien berühmter Originale vor. Getreue
Kopien der Art macht man auf tapetenhaft flüchtigen Reproduktionen nicht; getreue Kopien der Art
würden vor allen Dingen voraussetzen, dass der ausführende Kunsthandwerker sich am Orte der Originale
befunden habe. In dieser letzten Hinsicht müssen wir uns bescheiden, nichts wissen zu können. Gesetzt,
die alten Vorbilder hätten sich in Alexandrien oder in einer anderen hellenistischen Stadt befunden, so
könnten wir annehmen, der Handwerker sei ein in Rom eingewanderter Grieche gewesen; ja, wir könnten
uns die Aehnlichkeit jener gelben isolirten Felsen auf den ersten beiden Laistrygonenbildern mit denen
von Terracina durch eine Reisereminiszenz erklären, da doch der Weg von Brundusium nach Rom über
Anxur, wie der alte Name von Terracina lautete, führte ,2). Gesetzt aber auch, was besonders bei Helbigs
Verknüpfung unserer Bilder mit dem Namen des Demetrios, der in Rom gewesen, denkbar wäre, dass
berühmte alte Vorbilder dieser Gattung in Rom selbst existirt hätten, so würden wir doch immer noch
an keine getreuen Kopien derselben denken können. Dagegen spricht das ganze Verfahren der alten
Kopisten, wie wir es aus der alten Plastik und auch aus den kampanischen Wandgemälden entnehmen
können; denn so oft wir hier in der Hauptsache identische Darstellungen finden, welche auf dasselbe
Vorbild zurückweisen, ebenso oft bürgen die nicht unbedeutenden Verschiedenheiten im Einzelnen dafür,
dass keine einzige derselben eine ganz getreue Kopie des Originals sei. Jene Identität in der Hauptsache,
welche die Regel bei solchen Wiederholungen ist, muss uns aber auch für unsere Bilder vermuthen lassen,
dass wenigstens ihr figürlicher Theil in den Hauptgruppirungen und Bewegungen den Originalen mehr
oder minder genau entsprochen habe, mindestens in so weit, als die Erinnerung an die Vorbilder den
Nachbildner nicht im Stiche Hess. Für den landschaftlichen Theil der Bilder stellt sich die Frage aber
noch weit schwieriger. Unter der grossen Anzahl kampanischer Landschaftsgemälde finden wir bei aller
Aehnlichkeit der meisten derselben innerhalb bestimmter Klassen kaum jemals eine auch nur annähernd
genaue Wiederholung. Die einzigen mir bekannten Beispiele einer solchen sind zwei der kleinen Land-
schaften, die sich in den Abtheilungen LXI—LXVII des Neapeler Museums befinden und zwei andere, die
noch an Ort und Stelle in Pompeji sind und in Helbigs Katalog die Nummern 1561 und 1562 führen.
In den überwiegend meisten Fällen finden wir, dass sowohl bei selbständigen landschaftlichen Darstellungen,
als bei der Komposition der Hintergründe zu Figurenbildern, auch wo ihre sonstige Aehnlichkeit auf ein
gemeinsames Vorbild zurückweist, die schöpferische Phantasie des ausführenden Malers frei und in
verschiedener Weise gewaltet hat. So werden wir denn auch den bedeutenden landschaftlichen Theil
unserer Bilder vielleicht als deren originellste und selbständigste Seite ansehen dürfen, wenngleich die
Haupteffekte der Zeichnung und des Kolorits, wie z, B. die des grossen Nekyiabildes, so bedeutend sind,
dass sie nicht allein auf Rechnung der ausführenden Hand gesetzt werden können. Alles in Allem müssen
wir gestehen, dass, so wichtig die Frage nach dem Verhältniss der uns erhaltenen Tafeln zu den nach
Vitmv sicher vorhandenen Originalen ist, wir sie mit dem vorhandenen Material dennoch zu lösen ausser
Stande sind. Je weniger aber wir uns eine richtige Vorstellung von den Vorbildern machen können, um
so wichtiger werden die uns erhaltenen Nachbildungen ihrerseits für die alte Kunstgeschichte, und um so
mehr müssen wir sie einer aufmerksamen Würdigung ihrer selbst wegen unterziehen.

Der figürliche Theil unserer Bilderreihe wird unter den erhaltenen Historienbildern der alten Welt
stets eine wichtige und interessante Rolle spielen13). Die Laistrygonenbüder sind überhaupt die einzigen
erhaltenen Bilder dieses Gegenstandes, während das Kirkebtld, wichtig auch wegen der Doppelhandlung,
zwar nicht die einzige Darstellung aus dem Kirkeabenteuer, ja nicht einmal die einzige Darstellung des
gewählten Momentes M), aber doch die einzige Darstellung dieses Momentes auf einem Wandgemälde
enthält; und die Unterweltsbilder, welche viele Nebenbuhler haben oder doch bekannter Massen gehabt
haben, stellen ihren Gegenstand jedenfalls in einer uns sonst nicht überlieferten Auffassung dar. Das gemein
same Interessante des Figürlichen unserer Bilder besteht zunächst darin, dass sie sich, mit Ausnahme der
Danaidengruppe und vielleicht der jagenden Figur auf dem letzten Bilde, so genau, ja fast buchstäblich
an den Text der Odyssee anschliessen, wie wohl kaum ein anderes erhaltenes altes Wandgemälde an
den Text irgend einer anderen Dichtung sich anschliesst; und mag dieses in einzelnen Fällen auch sonst
noch vorkommen, eine ganze Reihe von Illustrationen eines alten Gedichtes ist, ausser diesen, in Wand-
gemälden der noch guten Zeit nicht, sondern nur in Miniaturen der tiefen Verfallzeit auf uns gekommen.
Für die Geschichte der Illustrationen sind unsere Bilder also von höchster Bedeutung; und bedeutend in
 
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