Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Woermann, Karl; Woermann, Karl [Mitarb.]
Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker (Band 2): Die Kunst der Naturvölker und der übrigen nichtchristlichen Kulturvölker, einschliesslich der Kunst des Islams — Leipzig: Bibliograph. Inst., 1915

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.66390#0226
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
176

Drittes Buch. Die indische Kunst.

dramatischen Kunst, mit der sie ihren wilden Phantasien in freier plastischer Formensprache
Leben verleihen, und den berechneten malerischen Reizen des Höhlenhelldunkels, das sie
umspielt, werden wir eine mächtige künstlerische Wirkung nicht abstreiten.
In Ellora kommen hauptsächlich die Bildwerke der Das-Awaterhöhle (Höhle der zehn
Inkarnationen) und die Grottenreliefs des monolithen Felfentempels Kailasa in Betracht. Im
Wischnutempel der Das-Awaterhöhle, dessen Bildwerke im wesentlichen noch dem 7. Jahr-
hundert entstammen, gehört die riesige Schreckensgestalt des Bhairawa oder Makadewa, der
todbringend ausfchreitet, zu den bewegtesten und wildesten, die Erscheinung Wischnus als
achtarmiger Löwenmensch mit Löwenkopf zur Bestrafung des Frevlers Hiranya zu den dra-
matisch lebendigsten Darstellungen der Reihe. Im Felfentempel Kailasa ist die auch anderwärts
oft wiederholte Gestaltung des über seinen besiegten Feinden den Triumphtanz ausführenden
Schiwa (Taf. 19 n; der „Tandawatanz") eine der bekanntesten dieser Kunstschöpfungen. Die
großartigste und malerischste von allen aber ist ohne Zweifel die von Havell veröffentlichte
und gefeierte Darstellung aus dem Ramayana (Abb. 162), wie der Zehnhäuptige Dämon
Rawana vergeblich versucht, den ganzen Paradiesesberg, auf dem Schiwa neben feiner Gattin
Parwati im Kreise dienender Geister thront, emporzuheben und fortzutragen. Wie anschaulich
ist die Anstrengung des zehnköpfigen und zehnarmigen Ungeheuers unten in der Höhle, die Ge-
lassenheit Schiwas und seiner Gattin oben auf der Höhe geschildert! Wie malerisch ist das Ge-
samtbild auf die Licht- und Schattenwirkung der Höhlendämmerung zugeschnitten! Im Höhlen-
tempel zu Elefant a (Taf. 21) sind zunächst die anmutige Darstellung der Vermählung Schiwas
und Parwatis (Taf. 28) und das ausdrucksvolle Bild der Askese Schiwas hervorzuheben. Der
Rawana-Mythus ist hier nicht so packend erzählt wie in Ellora. Der Tandawa tanzende
Schiwa fehlt auch hier nicht, und die Trimurti, die brahmanische Dreieinigkeit (Brahma,
Wischnu, Schiwa), ist kaum jemals so packend dargestellt worden wie in der kolossalen dreiköpfigen
Büste der Grotte von Elefanta. Echt indisch blicken hier aber auch die ruhig dastehenden Ge-
stalten drein, wie die der Tempelwächter am Eingang zur Linga-Grotte (Taf. 21 und Taf. 29).
Im eigentlichen Süden Indiens können wir etwas wie eine chronologische Ent-
wickelung in der Geschichte der Bildhauerei verfolgen.
Noch dem 7. und 8. Jahrhundert gehören die ältesten Felsentempel der Pallawa-Dynastie
zu Mamallampuram an, die aufs reichste mit Bildwerken geschmückt sind. Das Relief, das
den Sieg der guten Göttin Durga, die auf einem Löwen reitet, über den stierköpfigen (an
griechische Minotaurusdarstellungen erinnernden) bösen Dämon Mahifchasura darstellt, ist an-
schaulich angeordnet, aber doch in etwas dürftiger allgemeiner Formenfprache gehalten. Mehr
an westasiatische Felsenreliefs erinnert die Mahabharatalegende der Selbstpeinigung Ardfchunas,
der einen Monat lang mit erhobenen Armen auf der großen Zehe eines Fußes stand.
Dem 11. Jahrhundert gehören die besten Bildwerke aus der Zeit der Tscholaherr-
schafr an. Radschendra Tscholadewal. (1018—35) erbaute im heutigen BezirkTritschinopoly
die neue Hauptstadt Gangaikonda Tscholapuram, deren Haupttempel in verhältnismäßig streng
umrahmten Außennischen Bildwerke von so ruhigem Adel der Formensprache zeigt wie die
Gruppen, die Schiwa als Tandawatänzer und als Liebhaber seiner Gattin Parwati darstellen.
Dem 12. Jahrhundert gehören jene ornamental verwerteten, in langen Friesen und
Simsen übereinander angeordneten Tier- und Menschenreihen der drawidischen
Tempel der Landschaft Maisur an, auf die schon hingewiesen worden (S. 171). Die größeren
Bildwerke sind hier nicht selten mit den Namen der Künstler bezeichnet.
 
Annotationen