Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Woermann, Karl; Woermann, Karl [Mitarb.]
Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker (Band 2): Die Kunst der Naturvölker und der übrigen nichtchristlichen Kulturvölker, einschliesslich der Kunst des Islams — Leipzig: Bibliograph. Inst., 1915

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.66390#0411
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Kanoschu!e. Die Toyotomi- und Tokugawa-Zeit.

339

Wogen wandelte, im British Museum, von seinen Blumen- und Vogelstücken seien die beiden
Kakemono im Myoshinji zu Kyoto geuaunt.
Von den Schülern Kano Motonobus, die noch dem Ashikaga-Zeitraum angehöreu,
seien sein Bruder Kano Aukinobu, dessen Erntebilder im Daitokuji zu Kyoto bekannt
sind, sein Sohn Shoyei Kano (1519—92), dessen „Sieben Weisen im Bambuswalde"
beim Grafen Nagatake Ogasawara in Tokyo eigenartig durchgeistigt sind, und sein Enkel
Kano Eitoku (1543—90) hervorgehoben, der hauptsächlich durch seine großen dekorativen
Scher-, Schiebe- und Setzwandbilder in den japanischen Schlössern berühmt ist. Ihre Schwarz-
weißmalerei hebt sich wirkungsvoll vom Goldgründe ab. Von Eitokus Hand besitzt das
Berliner Museum eine nette Landschaft, der Daitokuji in Kyoto ein sauberes, nüchternes Bild
mit Fichten und Kranichen. Nüchterne Sauberkeit und hergebrachte Korrektheit werden immer
deutlicher zu Kennzeichen der Schule.
6. Die Toyotomi- und Tokugawa-Zeit (1573—1868).
Der letzte Shogun der Ashikaga-Familie wurde 1573 durch den großen Condottieri
Oda Nobunaga abgesetzt; aber schon 1582 erreichte auch diesen sein Schicksal. Er fiel durch
Meuchelmord, und sein Feldherr Toyotomi Hideyoshi, ein tapferer, reichbegabter Mann aus
dem Volke, trat die weltliche Herrschaft über das Chrysanthemum-Land an, der er durch seinen
nur halb erfolgreichen Zug nach Korea (1592 — 98) kriegerischen Glanz verlieh. Einige
Jahre nach seinem Tode aber, 1603, riß sein Feldherr aus dem Stamme der Minamoto,
Tokugawa Aesasu (gest. 1616), das Shogunat, dessen Residenz von Kamakura nach Dedo
verlegt wurde, an sich, und seine Dynastie behielt in den 300 Friedensjahren, die nun folgten,
die Zügel der Regierung fest in sicheren Händen. Erst 1868 beginnt die neue Geschichte
Japans. Die Toyotomi-Periode (1573—1603) ist von der Tokugawa-Periode (1603—1868)
für die kunstgeschichtliche Betrachtung kaum zu treunen.
Die Kunst dieses Gesamtzeitraumes, die sich teils unbewußt infolge der allgemeinen Welt-
strömung, teils absichtlich infolge des starken Aneignungstriebes der Japaner allmählich der
europäischen Auffassung näherte, anderseits aber, namentlich im Kunstgewerbe, das künstle-
rische Sonderempfinden der Japaner mit seinem Sinn fürs Anmutige, Zierliche, Feine,
Natürlich-Unsymmetrische zum vollen Ausdruck brachte, galt in Europa lange Zeit, da man
die ältere Kunst Japans nicht kannte oder nicht beachtete, für die allein maßgebende Kunst
des blühenden Jnselreiches. Heute läuft diese Kunst in Japan wie in Europa Gefahr, unter-
schätzt zu werden. Die ideale, von ernstem Ringen nach Hoheit und Würde getragene Groß-
kunst ging den Japanern jetzt freilich allmählich verloren; und was an dekorativer Pracht in
der Holzschnitzerei und im bunten Farbenglanz am Äußeren, in den großen Gemälden der
Kano-Schule im Inneren der Gebäude entfaltet wurde, konnte den Verfall der großen Ideal-
kunst nicht aufhalten. Aber in der Kleinkunst schufen die Japaner jetzt wirklich noch so viel
Hübsches, Neues und Eigenartiges, daß wenigstens die Geschichte des japanischen Kunstgewerbes
in diesem Zeitraum tatsächlich einen neuen Aufschwung zu verzeichnen hat. Trat die ganze
Kleinbildnerei der Netzkes, Jnros usw. doch jetzt erst in den Vordergrund. Erhielt die japanische
Kunsttöpferei, die sich jetzt zum Porzellan bekehrte, ohne sich dadurch zu verschönern, doch jetzt
erst ihr in Europa bekanntestes Gesicht. Ist der ganze japanische Farbenholzschnitt, der in
Europa jahrzehntelang als die Quintessenz des japanischen Kunstschaffens galt, doch erst ein
Erzeugnis dieses letzten Zeitraumes natioualjapanischer Kunst.

22*
 
Annotationen