298 Drittes Buch. II. Die holländische Kunst von 1550 bis 1750.
wunderbar, alle diese Einzelheiten zu großen, einheitlich angeordneten, von warmem Gesamt-
ton zusammengehaltenen Stilleben von ebenso märchenhafter wie natürlicher Pracht zusammen-
zufügen. Er ist in fast allen großer: Galerien, am stärksten in der Dresdener, vertreten.
Sein Sohn Cornelis de Heern (1631—95) folgte seinen Spuren in Antwerpen.
Alle diese Meister, die irr ferneren oder engeren Beziehungen zu Utrecht stehen, sind die
klassischen Vertreter der holländischen Tier- und Stilleben-, Frucht- und Blumenmalerei, die
der Kunst neue Stätten gewiesen und nie gesehene kleine Phantasiewelten enthüllt hat.
Haarlem, das Herz Hollands, dessen Malerei van der Willigen eine der ältesten ört-
lichen Kunstgeschichten in Nordeuropa gewidmet hatte, während neuerdings Eisler die Ent-
wickelung seines Stadtbildes anschaulich geschildert hat, hatte durch seine Teilnahme an der
nationalen Verteidigung und seine Pflege des nationalen geistigen Lebens beinahe am meisten
zur Ausbildung der neuen holländischen Gesittung beigetragen; und die Haarlemer Malerei,
deren landschaftlicher Gehalt schon in: 15. Jahrhundert die flämische Kunst befruchtet hatte
(Bd. 4, S. 28), während ihre Beherrschung der menschlichen Gestalt im 16. Jahrhundert die
künstlerische Durchbildung des nationalen Gruppenbildnisses (Bd. 4, S. 543) gefördert hatte,
übernahm auch im 17. Jahrhundert einen wesentlichen Anteil an der Führung in jener
nationalholländischen Richtung, die unmittelbare Natureindrücke durch Vereinheitlichung der
Tonwirkung künstlerisch zü stimmen wußte.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hatte gerade die Haarlemer Malerei sich
freilich noch entschieden und erfolgreich im Fahrwasser der italienischen Kunst bewegt. An
der Spitze der Haarlemer Schule dieser Zeit steht Hendrik Goltzius (1558—1616), ein
geborener Jülicher aus Mühlbrecht, der, in Haarlem unterrichtet, in Italien weitergebildet,
von dort nach der Stadt seiner Wahl zurückkehrte. Vor allem gründete er hier seine große
Stecherschule, die es, „eklektisch" im vollsten Sinne, auf die Verarbeitung aller früheren
Richtungen abgesehen hatte. Suchte Goltzius doch in seinen sogenannten „6 Meisterwerken"
die Art der berühmtesten älteren Großmeister, z. B. in der Beschneidung Christi die Art
Dürers, in der Anbetung der Könige die Art Lukas van Leydens, in der Heimsuchung die
Art Parmeggianinos, in anderen Blättern die Art der Rafaelstecher und anderer Italiener
bis zur Täuschung nachzuahmen. Am erfreulichsten wirkte sein großes technisches Können,
dem die ältere Stechart mit engen Linienlagen ebenso geläufig war wie die breitere neue, in
seinen zahlreichen bald kleinen, bald lebensgroßen Bildnisstichen, von denen der junge Frisius
mit dem großen Hunde und sein starkbärtiges Selbstbildnis zu den glänzendsten Leistungen
des Kupferstichs gehören. Seine Blätter aus der Götter- und Gedankenwelt nach fremden
oder eigenen Erfindungen aber leisten teils in zarter, teils in kräftiger Technik ein Äußerstes
an willkürlicher Umbildung der menschlichen Gestalten in dem italienischen („manieristischen")
Sinne, der als Ausdruck neuen Zeitempfindens aufgefaßt sein will. Weigel (im Nachtrag zu
Bartsch) zählt 363 Blätter seiner Hand; auch um die Weiterbildung der „Helldunkel"-Technik
im Holzschnitt hat Goltzius sich verdient gemacht. Der Ölmalerei wandte er sich erst nach 1600
in seinem 42. Lebensjahre zu. Bezeichnend für seine akademische, doch nut einer gewissen ker-
nigen Frische gepaarte Art sind die kräftigen Akte seiner Göttergestalten von 1611 und 1613 im
Haag sowie sein Bild „Merkur bringt Juno die Augen des Argus" von 1615 in Rotterdam.
Zu Goltzius' berühmter Stecherschule gehören Meister wie Jakob de Gheyn der
Ältere (um 1565-—1615), Jan Saenredam (um 1565—1607), Jakob Matham (1571
wunderbar, alle diese Einzelheiten zu großen, einheitlich angeordneten, von warmem Gesamt-
ton zusammengehaltenen Stilleben von ebenso märchenhafter wie natürlicher Pracht zusammen-
zufügen. Er ist in fast allen großer: Galerien, am stärksten in der Dresdener, vertreten.
Sein Sohn Cornelis de Heern (1631—95) folgte seinen Spuren in Antwerpen.
Alle diese Meister, die irr ferneren oder engeren Beziehungen zu Utrecht stehen, sind die
klassischen Vertreter der holländischen Tier- und Stilleben-, Frucht- und Blumenmalerei, die
der Kunst neue Stätten gewiesen und nie gesehene kleine Phantasiewelten enthüllt hat.
Haarlem, das Herz Hollands, dessen Malerei van der Willigen eine der ältesten ört-
lichen Kunstgeschichten in Nordeuropa gewidmet hatte, während neuerdings Eisler die Ent-
wickelung seines Stadtbildes anschaulich geschildert hat, hatte durch seine Teilnahme an der
nationalen Verteidigung und seine Pflege des nationalen geistigen Lebens beinahe am meisten
zur Ausbildung der neuen holländischen Gesittung beigetragen; und die Haarlemer Malerei,
deren landschaftlicher Gehalt schon in: 15. Jahrhundert die flämische Kunst befruchtet hatte
(Bd. 4, S. 28), während ihre Beherrschung der menschlichen Gestalt im 16. Jahrhundert die
künstlerische Durchbildung des nationalen Gruppenbildnisses (Bd. 4, S. 543) gefördert hatte,
übernahm auch im 17. Jahrhundert einen wesentlichen Anteil an der Führung in jener
nationalholländischen Richtung, die unmittelbare Natureindrücke durch Vereinheitlichung der
Tonwirkung künstlerisch zü stimmen wußte.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hatte gerade die Haarlemer Malerei sich
freilich noch entschieden und erfolgreich im Fahrwasser der italienischen Kunst bewegt. An
der Spitze der Haarlemer Schule dieser Zeit steht Hendrik Goltzius (1558—1616), ein
geborener Jülicher aus Mühlbrecht, der, in Haarlem unterrichtet, in Italien weitergebildet,
von dort nach der Stadt seiner Wahl zurückkehrte. Vor allem gründete er hier seine große
Stecherschule, die es, „eklektisch" im vollsten Sinne, auf die Verarbeitung aller früheren
Richtungen abgesehen hatte. Suchte Goltzius doch in seinen sogenannten „6 Meisterwerken"
die Art der berühmtesten älteren Großmeister, z. B. in der Beschneidung Christi die Art
Dürers, in der Anbetung der Könige die Art Lukas van Leydens, in der Heimsuchung die
Art Parmeggianinos, in anderen Blättern die Art der Rafaelstecher und anderer Italiener
bis zur Täuschung nachzuahmen. Am erfreulichsten wirkte sein großes technisches Können,
dem die ältere Stechart mit engen Linienlagen ebenso geläufig war wie die breitere neue, in
seinen zahlreichen bald kleinen, bald lebensgroßen Bildnisstichen, von denen der junge Frisius
mit dem großen Hunde und sein starkbärtiges Selbstbildnis zu den glänzendsten Leistungen
des Kupferstichs gehören. Seine Blätter aus der Götter- und Gedankenwelt nach fremden
oder eigenen Erfindungen aber leisten teils in zarter, teils in kräftiger Technik ein Äußerstes
an willkürlicher Umbildung der menschlichen Gestalten in dem italienischen („manieristischen")
Sinne, der als Ausdruck neuen Zeitempfindens aufgefaßt sein will. Weigel (im Nachtrag zu
Bartsch) zählt 363 Blätter seiner Hand; auch um die Weiterbildung der „Helldunkel"-Technik
im Holzschnitt hat Goltzius sich verdient gemacht. Der Ölmalerei wandte er sich erst nach 1600
in seinem 42. Lebensjahre zu. Bezeichnend für seine akademische, doch nut einer gewissen ker-
nigen Frische gepaarte Art sind die kräftigen Akte seiner Göttergestalten von 1611 und 1613 im
Haag sowie sein Bild „Merkur bringt Juno die Augen des Argus" von 1615 in Rotterdam.
Zu Goltzius' berühmter Stecherschule gehören Meister wie Jakob de Gheyn der
Ältere (um 1565-—1615), Jan Saenredam (um 1565—1607), Jakob Matham (1571