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Woermann, Karl
Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker (5. Band): Die Kunst der mittleren Neuzeit von 1550 bis 1750 (Barock und Rokoko) — Leipzig, Wien: Bibliographisches Institut, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.67364#0461
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Die deutsche Baukunst von 1700 bis 1750. Dresden. Pöppelmann. ZFH
Unter den französischen Bau- und Ausstattungsmeistern, die im 18. Jahrhundert in
Deutschland wirkten, ragen zunächst die Pariser Zacharias Longuelune (1669—1748)
und Jean de Bodt (1670—1745) hervor, von denen jener in Warschau und Dresden, dieser
in Berlin und Dresden tätig war. Longuelune war in Dresden und seiner Nachbarschaft
am Bau des Holländischen (Japanischen) Palais, des „Blockhauses" und des chinesierenden
„Wasserpalais" zu Pillnitz beteiligt, dessen Mischstil allerdings wenig erfreulich wirkt; seine
künstlerische Kraft aber tritt uns hauptsächlich in seinen erhaltenen Entwürfen entgegen. De
Bodt, der Schiller Mansarts in Paris gewesen war, hatte in Berlin den Bau des Zeughauses
(S. 381) durch den wirkungsvollen Mittelvorsprung (1767) zum Abschluß gebracht und in
Potsdam die Nordseite des Schlosses mit der Kuppel und dem hübschen Portal vollendet,
ehe er in Dresden zum Ausbau des Holländischen Palais herangezogen wurde.
Den französischen Rokokostil brachte ein Schüler Cottes (S. 159), Francois de Cu-
villies (1698—1768), nach Deutschland, der seit 1725 in München tätig war, wo er
Oberhofbaumeister wurde. Ging er auch von dem echten Rokoko Oppenords und Meissoniers
aus, so gab er diesem doch eine Fülle, eine Kraft und eine Naturfrische, die seinem gleichzeitig
durch jenes üppige italienische Hochbarock beeinflußten Stil den besonderen Charakter eines
deutschen Rokokos verliehen. Seine Schöpfungen sind, dem Wesen des Rokokos entsprechend,
hauptsächlich Jnnenraum-Ausstattungen. Was er, zum Teil in Verbindung mit dem Deut-
schen Effner (S. 391), in den sogenannten „reichen Zimmern" (1729—30) des Münchener
Residenzschlosses (Tas. 53, Abb. 2), die Dehio als den Höhepunkt des frühen Rokokos be-
zeichnet, und in seinem eigensten Werke, den: in weiß-gold-purpurner Pracht strahlenden
Münchener Residenztheater, an köstlichem Rokokozierat geschaffen, wird nur durch die be-
rauschende Üppigkeit seiner Ausschmückung des Kuppelschlößchens Amalienburg (1734—59)
bei Nymphenburg übertroffen.
Aber es wird Zeit, uns von der Ebenbürtigkeit, wenn nicht Überlegenheit der großen
deutschen Vaukünstler der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu überzeugen.
Dresden bildete im 18. Jahrhundert in vielen Beziehungen den Mittelpunkt deutschen
Kunstlebens. An der Spitze seiner selbständigen Baukunst, über die namentlich Gurlitt, Schu-
mann und Sponsel reiches Material beigebracht haben, steht Matthäus Daniel Pöppel-
mann (1667—1736), der Rom und Neapel besucht hatte, ehe er 1711 den Bau des Dres-
dener „Zwingers" (Tas. 54, Abb. 1) begann, eines Festsaalbaues unter freiem Himmel, der für
Ritterspiele, Rennen und anderes Schaugepränge mit Arena, Galerien und Erholungsräumen
ausgestattet wurde. Der in seiner Art einzige Bau war 1722 vollendet. Den rechteckigen
Haupthof umgeben an drei Seiten Pfeiler- und Bogenhallen, aus denen stattliche Mittel-
und Eckpavillons emporragen. Wunderbar rein und edel sind die Gesamtverhältnisse, zart
und kraftvoll zugleich sind die Pilaster, Halbsäulen und Säulen gestaltet, von deren ionisieren-
den Kompositkapitellen leichte Blütenranken an den Schäften herabhängen; erstaunlich üppig
und phantastisch wirken die aus einer Fülle tektonisch-dekorativer und plastisch-figürlicher
Motive zusammengesetzten Schmuckformen, die die Mittelpavillons mit krausem Reichtum um-
spinnen und bekrönen. Die mit flachen Bogengiebeln geschmückten Sänlenportale erscheinen
wie in der Mitte senkrecht durchgeschnitten und wie Türflügel auseinandergeklappt. Atlanten-
artige Träger in Gestalt saunischer Weser: bilden die Sockel und vertreten im Erdgeschoß der
Westpavillons die tragenden Pfeiler. Tolles Leben und heftige Bewegung im einzelnen ver-
mählen sich wunderbar mit der vornehmen Ruhe des Ganzen. Wenn noch Semper den
Kunstgeschichte, 2. Ausl., Bd. V. 25
 
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