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Erstes Buch. II. Die französische Kunst von 1750 bis 1815.
des Italieners in Paris bereitet selbstbewußt auf den Stil Ludwigs LVI. vor. Jacques
Hardouin Mansart de Sagonnes (1703—76) Ludwigskathedrale in Versailles (1742
bis 1754) trägt wenigstens in ihrem leicht gegliederten ionischen Inneren schon entscheidendere
Züge des im Entstehen begriffenen neuen Stiles.
Der im Großen strenge, aber niemals schwere, im Kleinen frauenhaft anmutige Stil
Louis LVI., der in seinen Hauptformen die antiken Säulenordnungen und eine elegante
Geradlinigkeit pflegte, in feinen maßvollen Schmuckformen aber leichte natürliche Blätter-
kränze, Blütenzweige und rafaelisch-römische oder pompejanische „Grottesken" (Bd. IV,
S. 366, 455) bevorzugte, entstand, wie gesagt, um 1750 unter Leitung der Madame de
Pompadour, der kunstsinnigen Geliebten Ludwigs LV. Von den beiden Hauptkirchen dieser
Richtung wurde Sainte-Genevieve, die Meisterschöpfung Jacques Germain Soufflots
(1709—80), schon 1755 entworfen, 1764—81 ausgeführt, dann aber, zuerst 1791, zuletzt
1885 als „Pantheon" dem Andenken der großen Männer Frankreichs geweiht (Taf. 3).
Auf der Grundlage eines griechischen Kreuzes erhebt sich der kühle Prachtbau, dessen nach Nord-
westen gerichteter Hauptseite in ihrer ganzen Höhe eine in ihrer Vorderreihe sechssäulige, von
achtzehn riesigen korinthischen Freisäulen getragene Giebelhalle vorgelegt ist, während über
seiner Kreuzungsmitte auf hoher, außen von 32 korinthischen Säulen umstellter Trommel eine
laternenbekrönte Kuppel emporsteigt, die sich offensichtlich an Wrens Kuppel der Londoner Pauls-
kirche (Bd. 5, S. 210) anlehnt. Die Innenwände sind mit korinthischen Halbsäulen gegliedert,
vor denen bogenüberspannte Freisäulen die Wölbungen tragen. Alle Einzelformen sind streng,
rein und kühl. Doch wirkt der ganze Bau immer noch mehr alt- als neuklassizistisch. Nicht
übersehen aber dürfen wir die großzügige Anordnung, durch die Soufflot seinen Prachtbau
dem Stadtbild eingefügt hat, das ihn umgibt. Die breite ansteigende Rue Soufflot, die vom
Boulevard Saint-Michel zum Pantheon emporführt, erweitert sich vor diesem zu einem
Dreieckplatz, dessen ausgerundete Seiten mit mächtigen, gleichgestalteten Giebelvorlagen ver-
sehen sind. Das Gesamtbild schließt sich einheitlich zusammen.
Soufflot, der, wie bereits erwähnt, 1750 die Ruinen von Pästum ausgenommen hatte
(S. I), hatte sich übrigens schon 1737, noch ehe er nach Paris gekommen war, als Bahn-
brecher der neuen Stilrichtung durch fein berühmtes, breithingelagertes Hötel de Dien in
Lyon einen Namen gemacht, das aber auch noch nicht neuklafsizistisch, sondern klassisch im
Sinne einer verfeinerten und vernüchterten Spätrenaissance wirkt.
Im Geiste Soufflots schuf auch Pierre Contant d'Pvri (1698—1773) 1764 seine
Entwürfe für die Kirche Sainte-Madeleine in Paris, die, soweit ihr Bau schon gediehen war,
unter Napoleon I. wieder abgerissen wurde, um dem bekannten echt klassizistischen Neubau in
Gestalt eines griechischen Tempels zu weichen (S. 25). Contant d'Pvris „Madeleine" sollte
eine Kuppelkirche auf der Grundlage eines lateinischen Kreuzes werden. Seine Beteiligung
am Wohnbau seiner Zeit erstreckte sich unter anderem auf die strenge Zimmerflucht mit der
Festtreppe im Palais Royal, auf einen edelfchlichten Teil des Schlosses zu Saint-Cloud und
auf das vornehme Hötel de Broglie am Vendöme-Platz zu Paris.
Der berühmteste weltliche Baumeister der Zeit und der echteste Vertreter des Stiles
Ludwigs XVI. in der Baukunst aber war Jacques Ange Gabriel (1710-—82), der sich
schon 1751 mit dem Bau der schlichten, nur von einem überkuppelten Mittelvorsprung be-
lebten Ecole Militaire auf dem Marsfelde die Sporen verdient hatte, dann den Umbau des
Schlosses von Compiegne leitete, dem er seine große Festtreppe und seine Kapelle gab, und
Erstes Buch. II. Die französische Kunst von 1750 bis 1815.
des Italieners in Paris bereitet selbstbewußt auf den Stil Ludwigs LVI. vor. Jacques
Hardouin Mansart de Sagonnes (1703—76) Ludwigskathedrale in Versailles (1742
bis 1754) trägt wenigstens in ihrem leicht gegliederten ionischen Inneren schon entscheidendere
Züge des im Entstehen begriffenen neuen Stiles.
Der im Großen strenge, aber niemals schwere, im Kleinen frauenhaft anmutige Stil
Louis LVI., der in seinen Hauptformen die antiken Säulenordnungen und eine elegante
Geradlinigkeit pflegte, in feinen maßvollen Schmuckformen aber leichte natürliche Blätter-
kränze, Blütenzweige und rafaelisch-römische oder pompejanische „Grottesken" (Bd. IV,
S. 366, 455) bevorzugte, entstand, wie gesagt, um 1750 unter Leitung der Madame de
Pompadour, der kunstsinnigen Geliebten Ludwigs LV. Von den beiden Hauptkirchen dieser
Richtung wurde Sainte-Genevieve, die Meisterschöpfung Jacques Germain Soufflots
(1709—80), schon 1755 entworfen, 1764—81 ausgeführt, dann aber, zuerst 1791, zuletzt
1885 als „Pantheon" dem Andenken der großen Männer Frankreichs geweiht (Taf. 3).
Auf der Grundlage eines griechischen Kreuzes erhebt sich der kühle Prachtbau, dessen nach Nord-
westen gerichteter Hauptseite in ihrer ganzen Höhe eine in ihrer Vorderreihe sechssäulige, von
achtzehn riesigen korinthischen Freisäulen getragene Giebelhalle vorgelegt ist, während über
seiner Kreuzungsmitte auf hoher, außen von 32 korinthischen Säulen umstellter Trommel eine
laternenbekrönte Kuppel emporsteigt, die sich offensichtlich an Wrens Kuppel der Londoner Pauls-
kirche (Bd. 5, S. 210) anlehnt. Die Innenwände sind mit korinthischen Halbsäulen gegliedert,
vor denen bogenüberspannte Freisäulen die Wölbungen tragen. Alle Einzelformen sind streng,
rein und kühl. Doch wirkt der ganze Bau immer noch mehr alt- als neuklassizistisch. Nicht
übersehen aber dürfen wir die großzügige Anordnung, durch die Soufflot seinen Prachtbau
dem Stadtbild eingefügt hat, das ihn umgibt. Die breite ansteigende Rue Soufflot, die vom
Boulevard Saint-Michel zum Pantheon emporführt, erweitert sich vor diesem zu einem
Dreieckplatz, dessen ausgerundete Seiten mit mächtigen, gleichgestalteten Giebelvorlagen ver-
sehen sind. Das Gesamtbild schließt sich einheitlich zusammen.
Soufflot, der, wie bereits erwähnt, 1750 die Ruinen von Pästum ausgenommen hatte
(S. I), hatte sich übrigens schon 1737, noch ehe er nach Paris gekommen war, als Bahn-
brecher der neuen Stilrichtung durch fein berühmtes, breithingelagertes Hötel de Dien in
Lyon einen Namen gemacht, das aber auch noch nicht neuklafsizistisch, sondern klassisch im
Sinne einer verfeinerten und vernüchterten Spätrenaissance wirkt.
Im Geiste Soufflots schuf auch Pierre Contant d'Pvri (1698—1773) 1764 seine
Entwürfe für die Kirche Sainte-Madeleine in Paris, die, soweit ihr Bau schon gediehen war,
unter Napoleon I. wieder abgerissen wurde, um dem bekannten echt klassizistischen Neubau in
Gestalt eines griechischen Tempels zu weichen (S. 25). Contant d'Pvris „Madeleine" sollte
eine Kuppelkirche auf der Grundlage eines lateinischen Kreuzes werden. Seine Beteiligung
am Wohnbau seiner Zeit erstreckte sich unter anderem auf die strenge Zimmerflucht mit der
Festtreppe im Palais Royal, auf einen edelfchlichten Teil des Schlosses zu Saint-Cloud und
auf das vornehme Hötel de Broglie am Vendöme-Platz zu Paris.
Der berühmteste weltliche Baumeister der Zeit und der echteste Vertreter des Stiles
Ludwigs XVI. in der Baukunst aber war Jacques Ange Gabriel (1710-—82), der sich
schon 1751 mit dem Bau der schlichten, nur von einem überkuppelten Mittelvorsprung be-
lebten Ecole Militaire auf dem Marsfelde die Sporen verdient hatte, dann den Umbau des
Schlosses von Compiegne leitete, dem er seine große Festtreppe und seine Kapelle gab, und