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MELCHIOR
LECHTER:
KARTON
FÜR EIN
MOSAIK IM
PALLEN-
BERGSAAL
ZU KÖLN
AM RHEIN
1900
musste. Und wie diese Verkünder eines neuen Rausches in der
Malerei, der Musik, der Philosophie, begriff er bei dem ersten
Eindruck, der ihn traf, auch den Schöpfer der neuen deutschen
Dichtung: Stefan George. Es bedarf nach dem Gesagten kaum
noch des Wortes, dass Melchior Lechter die grossen Dichter
der Antike, soweit er sich durch die Sprache den Zugang zu
ihnen verschaffen konnte, dass er Dante, Shakespeare, Goethe
mit Inbrunst an sich riss, ihr Schicksal und ihre Werke so le-
bendig in sich trägt wie wenige Menschen dieser Zeit: wir
werden sehen wie alle diese Bindungen in seinen Werken frucht-
bar wurden, der enge Zusammenschluss mit Stefan George aber
einer ganzen Kunstgattung wieder neues Leben einflösste. Sein
von keinem Schulschematismus geschwächter Instinkt hörte
beim ersten Tone, dass in den Liedern dieses Dichters Grösse
und Würde eines glühenderen Lebens ihren Gesang erhoben,
dass über den zermürbenden Kämpfen unserer Zeit, die jene Mei-
ster fast erliegen machten, ein einsamer Genius den Fittich hob,
um in seinem Wesen und Werke die Zukunft vorwegzunehmen
und in der Gegenwart das Lebendigste zu wirken.
Aber auch in diesen Reichen hat Melchior Lechter noch nicht
Halt gemacht, den Spuren derer nachzugehen, die das Geheim-
nis schöpferischer Zeugung mit den strengsten Forderungen
an die eigne Arbeit und Bereitungin sich verbinden. Sein uner-
sättlicher Geist, der in der Heimat die beste Frömmigkeit erwor-
ben hat, nämlich alles Seiende auf die göttliche Wesenheit zu
beziehen, sucht — soweit es dem Erkennenden und Empfan-
genden möglich ist — in die letzten Gründe der religiösen
Mystik einzudringen. Mit den wunderbaren Denkern und Träu-
mern Indiens, mit den kosmischen Dichtern und Gestaltern
Griechenlands, mit den Bekennern der Evangelien und der früh-
christlichen Gnosis, mit den grossen liebenden und forschen-
den Mystikern der mittleren Zeiten bis zu unseren Tagen hin
hielt er Umgang, versenkte sich in sie und mit ihnen in die
ewigen Fragen des Seins, aber niemals um sich gehäuftes Wissen
zu eigen zu machen, sondern immer im Gleichnis des einzelnen
Schaffenden denselben Glutherd des unveränderlichen Lebens
erfassend seinem eigenen Kraftkerne neue lebendige Nahrung,
seinem Glauben an die Bestimmung des werktätigen Menschen
höchstes Vertrauen zu geben. Überall suchte er sein wesent-
liches Gesetz in der Hingabe der einzelnen schaffenden Seele
zum schöpferischen Weltganzen. Denn gerade im Gegensatz
zu einer Zeit, die in einer Absplitterung der Persönlichkeit vom
MELCHIOR
LECHTER:
KARTON
FÜR EIN
MOSAIK IM
PALLEN-
BERGSAAL
ZU KÖLN
AM RHEIN
1900
musste. Und wie diese Verkünder eines neuen Rausches in der
Malerei, der Musik, der Philosophie, begriff er bei dem ersten
Eindruck, der ihn traf, auch den Schöpfer der neuen deutschen
Dichtung: Stefan George. Es bedarf nach dem Gesagten kaum
noch des Wortes, dass Melchior Lechter die grossen Dichter
der Antike, soweit er sich durch die Sprache den Zugang zu
ihnen verschaffen konnte, dass er Dante, Shakespeare, Goethe
mit Inbrunst an sich riss, ihr Schicksal und ihre Werke so le-
bendig in sich trägt wie wenige Menschen dieser Zeit: wir
werden sehen wie alle diese Bindungen in seinen Werken frucht-
bar wurden, der enge Zusammenschluss mit Stefan George aber
einer ganzen Kunstgattung wieder neues Leben einflösste. Sein
von keinem Schulschematismus geschwächter Instinkt hörte
beim ersten Tone, dass in den Liedern dieses Dichters Grösse
und Würde eines glühenderen Lebens ihren Gesang erhoben,
dass über den zermürbenden Kämpfen unserer Zeit, die jene Mei-
ster fast erliegen machten, ein einsamer Genius den Fittich hob,
um in seinem Wesen und Werke die Zukunft vorwegzunehmen
und in der Gegenwart das Lebendigste zu wirken.
Aber auch in diesen Reichen hat Melchior Lechter noch nicht
Halt gemacht, den Spuren derer nachzugehen, die das Geheim-
nis schöpferischer Zeugung mit den strengsten Forderungen
an die eigne Arbeit und Bereitungin sich verbinden. Sein uner-
sättlicher Geist, der in der Heimat die beste Frömmigkeit erwor-
ben hat, nämlich alles Seiende auf die göttliche Wesenheit zu
beziehen, sucht — soweit es dem Erkennenden und Empfan-
genden möglich ist — in die letzten Gründe der religiösen
Mystik einzudringen. Mit den wunderbaren Denkern und Träu-
mern Indiens, mit den kosmischen Dichtern und Gestaltern
Griechenlands, mit den Bekennern der Evangelien und der früh-
christlichen Gnosis, mit den grossen liebenden und forschen-
den Mystikern der mittleren Zeiten bis zu unseren Tagen hin
hielt er Umgang, versenkte sich in sie und mit ihnen in die
ewigen Fragen des Seins, aber niemals um sich gehäuftes Wissen
zu eigen zu machen, sondern immer im Gleichnis des einzelnen
Schaffenden denselben Glutherd des unveränderlichen Lebens
erfassend seinem eigenen Kraftkerne neue lebendige Nahrung,
seinem Glauben an die Bestimmung des werktätigen Menschen
höchstes Vertrauen zu geben. Überall suchte er sein wesent-
liches Gesetz in der Hingabe der einzelnen schaffenden Seele
zum schöpferischen Weltganzen. Denn gerade im Gegensatz
zu einer Zeit, die in einer Absplitterung der Persönlichkeit vom