236 HANS HOLBEIN UND DIE REFORMATION.
wie treue Hunde umgeben die höchft naturwahr gezeichneten Thiere den
knieenden Mann, der voll Gottvertrauen emporblickt zum Propheten Ha-
bakuk, welchen der Engel des Herren eben am Schopfe zu ihm nieder-
führt mit den Broden und der Schüffel, die der fromme Mann den
Schnittern im Felde hatte bringen wollen. Von diefem Motiv der apo-
kryphen Erzählung erfüllt, hat nun der Maler bald nachher zu Habakuk's
Prophezeiungen ein finniges Bild entworfen, welches den vorhergehenden
Augenblick fchildert. Habakuk wandert auf die Schnitter zu, die an
einem Gebirgsfee mit der Ernte befchäftigt find. In der Rechten hält er
das Gefäfs und unter dem Arme hat er die Brode. Die lebhafte Geberde
der erhobenen Linken aber fcheint anzudeuten, dafs er eben feine Klagen
über die Verfolgung der Gerechten durch die Gottlofen ausftöfst, mit
denen fein erftes Capitel beginnt. Hinter ihm aber wirbelt fchon der
Engel nieder, der ihn als Retter zu einem verfolgten Gerechten füh-
ren will.
Unter den übrigen Prophetenbildern zeichnen fich namentlich zwei
durch die mit gefteigerter Empfindung durchdrungenen Gehalten der
Seher aus: Jefaias, der über die fündige Stadt Jerufalem jammert — dies
leider fchlecht gefchnitten — und Jonas vor Ninive, welcher betend unter
dem verdorrten Baum fitzt, auf der Höhe vor der prächtigen, thurmreichen
Stadt, deren Untergang er erwartet. Andere Illuftrationen zu den Pro-
pheten aber zeigen die Grenze von Holbein's Erfindung. Das eigentlich
Phantaftifche ift feine Sache nicht; er, welcher bei der heimlichen Offen-
barung Johannis fich an Dürer lehnen mufste, fobald er das Übermenfch-
lich-Grandiofe und Unfafsbare fchildern wollte, kommt hier zu keiner
grofsartigen und eigenen Auffaffung, indem er die kühnen Vifionen des
Jefaias, Ezechiel, Daniel bildlich auszudrücken fucht. Ezechiel's neuer
Tempel und Daniel's vier Ungeheuer find ziemlich trockene Illuftrationen,
nicht mit halb der Sorgfalt und dem Geift ausgeführt, wie die Illuftration
mit den Tempelgeräthen, welche weiter oben beim zweiten Buch Mofe
vorkommt. Selbft das Schlufsblatt, die Erfcheinung der kämpfenden
Reiter, welche fich bei des Antiochus Zug nach Ägypten, in der Luft
über Jerufalem zeigt, fleht kaum viel höher. Holbein, in feiner realifti-
fchen Anfchauungsweife, hellt am liebften nur das Rein-Menfchliche in
Thun und Empfinden dar1).
Das Verhältnifs des Holzfchnittes zur Reformation zeigt fich uns aber
noch von einer anderen Seite. Auch mit den Waffen des Spottes
tritt Holbein für die neuen religiöfen Ideen ein. Solche Blätter find
äufserft felten, denn es wurde von den verfchiedenften Seiten auf fie ge-
fahndet. Nicht nur dafs fie die Gegenpartei vernichtete, wo fie konnte,
9 Über ein Alphabet mit Initialen zum Alten Teftament vergl. Verz. d. W. Nr. 251.
wie treue Hunde umgeben die höchft naturwahr gezeichneten Thiere den
knieenden Mann, der voll Gottvertrauen emporblickt zum Propheten Ha-
bakuk, welchen der Engel des Herren eben am Schopfe zu ihm nieder-
führt mit den Broden und der Schüffel, die der fromme Mann den
Schnittern im Felde hatte bringen wollen. Von diefem Motiv der apo-
kryphen Erzählung erfüllt, hat nun der Maler bald nachher zu Habakuk's
Prophezeiungen ein finniges Bild entworfen, welches den vorhergehenden
Augenblick fchildert. Habakuk wandert auf die Schnitter zu, die an
einem Gebirgsfee mit der Ernte befchäftigt find. In der Rechten hält er
das Gefäfs und unter dem Arme hat er die Brode. Die lebhafte Geberde
der erhobenen Linken aber fcheint anzudeuten, dafs er eben feine Klagen
über die Verfolgung der Gerechten durch die Gottlofen ausftöfst, mit
denen fein erftes Capitel beginnt. Hinter ihm aber wirbelt fchon der
Engel nieder, der ihn als Retter zu einem verfolgten Gerechten füh-
ren will.
Unter den übrigen Prophetenbildern zeichnen fich namentlich zwei
durch die mit gefteigerter Empfindung durchdrungenen Gehalten der
Seher aus: Jefaias, der über die fündige Stadt Jerufalem jammert — dies
leider fchlecht gefchnitten — und Jonas vor Ninive, welcher betend unter
dem verdorrten Baum fitzt, auf der Höhe vor der prächtigen, thurmreichen
Stadt, deren Untergang er erwartet. Andere Illuftrationen zu den Pro-
pheten aber zeigen die Grenze von Holbein's Erfindung. Das eigentlich
Phantaftifche ift feine Sache nicht; er, welcher bei der heimlichen Offen-
barung Johannis fich an Dürer lehnen mufste, fobald er das Übermenfch-
lich-Grandiofe und Unfafsbare fchildern wollte, kommt hier zu keiner
grofsartigen und eigenen Auffaffung, indem er die kühnen Vifionen des
Jefaias, Ezechiel, Daniel bildlich auszudrücken fucht. Ezechiel's neuer
Tempel und Daniel's vier Ungeheuer find ziemlich trockene Illuftrationen,
nicht mit halb der Sorgfalt und dem Geift ausgeführt, wie die Illuftration
mit den Tempelgeräthen, welche weiter oben beim zweiten Buch Mofe
vorkommt. Selbft das Schlufsblatt, die Erfcheinung der kämpfenden
Reiter, welche fich bei des Antiochus Zug nach Ägypten, in der Luft
über Jerufalem zeigt, fleht kaum viel höher. Holbein, in feiner realifti-
fchen Anfchauungsweife, hellt am liebften nur das Rein-Menfchliche in
Thun und Empfinden dar1).
Das Verhältnifs des Holzfchnittes zur Reformation zeigt fich uns aber
noch von einer anderen Seite. Auch mit den Waffen des Spottes
tritt Holbein für die neuen religiöfen Ideen ein. Solche Blätter find
äufserft felten, denn es wurde von den verfchiedenften Seiten auf fie ge-
fahndet. Nicht nur dafs fie die Gegenpartei vernichtete, wo fie konnte,
9 Über ein Alphabet mit Initialen zum Alten Teftament vergl. Verz. d. W. Nr. 251.