2 DER KÜNSTLERISCHE UMSCHWUNG IN DEUTSCHLAND.
zeit ift das italienifche Volk, faft wie im Alterthum die Griechen, das
eigentliche Volk der Kunft. Hierin Grofses zu leiften ift der hiftorifche
Beruf der Nation. Den gefchichtlichen Umfchwung, welcher die Aufgabe
jener Epoche war, vollzieht fie auf dem Gebiete des Schönen, während
ihn die deutfche Nation auf dem fittlich-religiöfen Gebiete vollzieht. Diefe
vollbringt in der Reformation jene grofse gefchichtliche That, welche bis
zum heutigen Tage für die fernere Entwicklung der Menfchheit von mafs-
gebender Bedeutung war. So kann für Deutfchland nicht die Kunft im
Mittelpunkte der nationalen Intereffen ftehen, kann nicht alle höchsten
Kräfte an fich ziehen, wie jenfeits der Alpen; ja felbft die Künftler wer-
den von dem allgemeinen Drange, der ihr Volk befeelt, fo mächtig er-
füllt und fortgeriffen, dafs auch für fie das Schöne nicht unbefchränkt in
erfter Linie fleht.
Mag ihnen dies den Weg auch noch fo fchwer machen, fie in eine
Richtung treiben, die für den modernen Gefchmack wenig Anziehendes
hat, das ift es doch zugleich wieder, was die damalige Kunft des Vater-
landes uns befonders werth macht und nahe bringt. Durch fie weht der-
felbe Geift hin, welchem die Reformation entfprungen ift. Diefer Geift
ift es, welcher ihr Sehnen und Streben, ihr Wollen und Können erfüllt,
ihre Grenze freilich, aber auch ihre Gröfse beftimmt In der Reforma-
tion kam das deutfche Wefen ächt in feiner ganzen Eigenthümlichkeit
zur Erfcheinung, und fo redet auch die Kunft nie fo fehr unfere Mutter-
fprache mit uns als in den deutfchen Werken jener Zeit. Wenn wir
diefe von folchem Standpunkt betrachten, dann finden wir ihr Grofses
und Gewaltiges recht begründet und können uns verföhnen mit dem Un-
vollkommenen, das ihnen innewohnt; das Schöne aber, wo fie es wirk-
lich erreicht haben, fleht uns doppelt hoch, weil wir die Schwierigkeiten
und Kämpfe kennen, durch die es allein zu gewinnen war. Erfchliefst
Sich uns fo, wenn wir den gefchichtlichen Mafsftab anlegen, das rechte
Verftändnifs für die künftlerifchen Schöpfungen, fo werden dann auch
diefe ihrerfeits zu Documenten, aus denen, fo klar wie aus gefchriebenen,
Geift und Gefchichte der Zeit zu uns reden.
Seit den Tagen, in welchen die Liebe für die ältere vaterländifche Kunft
unter dem Einfluffe der romantifchen Literatur auf's Neue erwachte, fah
man die grofsen deutfchen Meifter des 16. Jahrhunderts als Fortfetzer der
mittelalterlichen Kunft, als die letzten Vertreter derfelben an. Nichts
aber ift falfcher als das. Wir finden zwar mittelalterliche Elemente in
ihren Werken, jene aber find etwas, gegen das der Geift diefer Künftler
fich regt, mit dem er fich in Widerfpruch fühlt und von dem er fich
frei macht, freilich nur allmälig. Auch im germanifchen Norden ift
die Kunft des 16., ja fogar fchon des 15. Jahrhunderts von modernem
Geift erfüllt.
zeit ift das italienifche Volk, faft wie im Alterthum die Griechen, das
eigentliche Volk der Kunft. Hierin Grofses zu leiften ift der hiftorifche
Beruf der Nation. Den gefchichtlichen Umfchwung, welcher die Aufgabe
jener Epoche war, vollzieht fie auf dem Gebiete des Schönen, während
ihn die deutfche Nation auf dem fittlich-religiöfen Gebiete vollzieht. Diefe
vollbringt in der Reformation jene grofse gefchichtliche That, welche bis
zum heutigen Tage für die fernere Entwicklung der Menfchheit von mafs-
gebender Bedeutung war. So kann für Deutfchland nicht die Kunft im
Mittelpunkte der nationalen Intereffen ftehen, kann nicht alle höchsten
Kräfte an fich ziehen, wie jenfeits der Alpen; ja felbft die Künftler wer-
den von dem allgemeinen Drange, der ihr Volk befeelt, fo mächtig er-
füllt und fortgeriffen, dafs auch für fie das Schöne nicht unbefchränkt in
erfter Linie fleht.
Mag ihnen dies den Weg auch noch fo fchwer machen, fie in eine
Richtung treiben, die für den modernen Gefchmack wenig Anziehendes
hat, das ift es doch zugleich wieder, was die damalige Kunft des Vater-
landes uns befonders werth macht und nahe bringt. Durch fie weht der-
felbe Geift hin, welchem die Reformation entfprungen ift. Diefer Geift
ift es, welcher ihr Sehnen und Streben, ihr Wollen und Können erfüllt,
ihre Grenze freilich, aber auch ihre Gröfse beftimmt In der Reforma-
tion kam das deutfche Wefen ächt in feiner ganzen Eigenthümlichkeit
zur Erfcheinung, und fo redet auch die Kunft nie fo fehr unfere Mutter-
fprache mit uns als in den deutfchen Werken jener Zeit. Wenn wir
diefe von folchem Standpunkt betrachten, dann finden wir ihr Grofses
und Gewaltiges recht begründet und können uns verföhnen mit dem Un-
vollkommenen, das ihnen innewohnt; das Schöne aber, wo fie es wirk-
lich erreicht haben, fleht uns doppelt hoch, weil wir die Schwierigkeiten
und Kämpfe kennen, durch die es allein zu gewinnen war. Erfchliefst
Sich uns fo, wenn wir den gefchichtlichen Mafsftab anlegen, das rechte
Verftändnifs für die künftlerifchen Schöpfungen, fo werden dann auch
diefe ihrerfeits zu Documenten, aus denen, fo klar wie aus gefchriebenen,
Geift und Gefchichte der Zeit zu uns reden.
Seit den Tagen, in welchen die Liebe für die ältere vaterländifche Kunft
unter dem Einfluffe der romantifchen Literatur auf's Neue erwachte, fah
man die grofsen deutfchen Meifter des 16. Jahrhunderts als Fortfetzer der
mittelalterlichen Kunft, als die letzten Vertreter derfelben an. Nichts
aber ift falfcher als das. Wir finden zwar mittelalterliche Elemente in
ihren Werken, jene aber find etwas, gegen das der Geift diefer Künftler
fich regt, mit dem er fich in Widerfpruch fühlt und von dem er fich
frei macht, freilich nur allmälig. Auch im germanifchen Norden ift
die Kunft des 16., ja fogar fchon des 15. Jahrhunderts von modernem
Geift erfüllt.