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Woltmann, Alfred; Holbein, Hans [Ill.]
Holbein und seine Zeit (1. Band): Des Künstlers Familie, Leben und Schaffen — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.70660#0365
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REISE UND ÜBERFAHRT IN DAMALIGER ZEIT. 3x9

das Gefchäft verdarb1). Kaum beffer als der Strafsenraub war der Un-
fug der Zölle, die jedes Reichsftädtchen, jeder kleine Landesherr erhob.
Welches Bild giebt uns davon Dürer's 'Tagebuch feiner Reife nach den
Niederlanden, und er kam durch bifchöfliche Geleitsbriefe, die er erlangt
hatte, doch noch ziemlich glimpflich durch. Trotzdem war der Trieb des
Wanderns nirgend fo lebhaft und heimifch als in Deutfchand. Der Pilger
zog nach den Gnadenörtern und fcheute den Weg über See und Gebirge
nicht, der Ritter ritt auf Abenteuer und Hofesdienft aus, der Landsknecht
fuchte nach Sold und die fahrende Dirne nach Landsknechten. Der Kauf-
mann reifte in feinen Gefchäften; an allen wichtigen Plätzen Europa's
hatten die grofsen deutfchen Handlungshäufer ihre Factoreien, und nach
den fernften Küften rüfteten fie ihre Schiffe aus. Um zu predigen und
um zu betteln zogen die Mönche von Ort zu Ort, ebenfalls durch Betteln
und gelegentlich durch Stehlen halfen fich die fahrenden Schüler weiter,
von deren Treiben uns Platter's Jugendgefchichte eine fo kofibare Schil-
derung giebt. Vor allem aber war das Wandern bei den Handwerkern
uud Künftlern in Gebrauch, die nicht blos durch Fechten, fondern auch
durch ihrer Hände Werk überall ihrem Zehrpfennig aufhelfen konnten.
Wer es danach hatte, reifte zu Pferd; auf diefe Weife wurden die Reifen-
den durch die Poft befördert, welche Franz von Taxis damals in Deutfch-
land einzurichten begann. Wem das zu theuer war, der zog feine Strafse
zu Fufs. Dürer, dem Pirkheimer 100 Gulden dazu borgte, konnte nach
Venedig reiten; in fo glücklicher Lage war Holbein ficherlich nicht. Er
mag feinen Weg etwa gemacht haben, wie die Famuli des Erasmus, von
denen gewöhnlich immer einer als Briefbote unterwegs war. Denen gab
er felbft das Nothwendigfte für die Zehrung mit, und es ward dann
darauf gerechnet, dafs diejenigen, welchen fie etwas zu überbringen hatten,
fich ihrer fernerhin annahmen und ihnen durch kleine Spenden weiter-
halfen. Ein intereffanter Brief des Erasmus an einen Famulus, welchen
er nach England abgefchickt hatte und dem er dann noch einige Lehren
auf den Weg nachfendet, ift uns bewahrt2). »Schade, dafs man nicht in
die Zukunft blicken kann — « fo ungefähr fängt der Brief an; »wäreft
du zwei Tage fpäter aufgebrochen, fo hätteft du einen Reifegefährten
gehabt, welcher dir den Weg zu Fufs fo behaglich gemacht hätte, als
ob du im Wagen führeft, denn er fleckt ganz voll heiterer Gefchichten«.
Erasmus läfst dann fallen, dafs der Weg durch unfichere Gegenden führe,
er ermahnt den Famulus, das Meer bei Calais nicht gar zu fehr zu fcheuen.
Wir hören zugleich, dafs die Schiffsleute, mit welchen man da zu thun

9 Ein Gefchichtchen der Art in fpäteren Ausgaben von »Schimpff und Ernft«; Nr. 84
der Strafsburger Ausgabe von 1533. — Ausgabe des Literar. Vereins, S. 390.

2) S. 983, an Nicolaus Cannius, vom 29. Mai 1527.
 
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