442 HOLBEIN'S THÄTIGKEIT FÜR DIE KUNSTINDUSTRIE.
Deckel hat den Charakter des fefter und nachdrücklicher Abfchliefsenden,
den Ausgufs bildet eine hohe Dille in Geftalt einer Schlange, die am
untern Theil des Bauches herauswächft und der ein Henkel, in feiner
Form dem Schweif einer Klapperfchlange nachgebildet, entfpricht. Diefe
Theile, in welchen die Function des Gefäfses fich am deutlichften aus-
fpricht, find wohl berechtigt, folche Thierformen anzunehmen, dadurch
erhöhtes Leben zu gewinnen und dem Ganzen eine defto entfchiedenere
Richtung zu geben. Dafür hatte fchon das Alterthum die fchönften Bei-
fpiele geboten.
Und dann diefe anmuthigen Trinkgefäfse auf fchlankem Fufs 1), fo
leicht und elaftifch fich aufbauend, dafs ein kräftiges Leben bis in die
feinften Verzierungen zu pulfiren fcheint! Der antike Grundtypus ift feh-
gehalten, aber frei behandelt und geiftreich modificirt, alle jene reicheren
technifchen Mittel, welche der neueren Kunft zu Gebote Landen, find ver-
werthet. Das mannigfaltigfte Beiwerk, bald bildnerifch, bald malerifch
im Motiv, ift an fie verfchwendet; bei diefer Fülle war das Fefthalten
der ftiliftifchen Gefetze um fo fchwieriger, und doch find fie mit eben fo
grofser Feinheit als Beftimmtheit gewahrt. Faft ausfchliefslich waren es
Schaugefäfse, zu keinem wirklichen Gebrauch beftimmt, dennoch ift die
erfte Stilregel, dafs der, wenn nicht thatfächliche, fo doch fupponirte Zweck
fich ausprägen müffe, durchgängig feftgehalten. Holbein's Gefäfse kommen
nicht in die Gefahr, fofort zu verrathen, »nur zum Zwecke der darauf
angebrachten malerifchen oder bildnerifchen Kunft gemacht zu fein«, wie
fo manche heutige Prachtftücke, wie »faft Alles was finnreich fein wollende,
in der That aber geiftlofe Tendenzfucht, verbunden mit anmafsender
Selbftüberfchätzung, die fich nicht unterordnen mag, in unfern modernen
weltberühmten Porzellanmanufacturen und Goldfchmiedswerkftätten hervor-
bringt«. Von diefen Erfindungen des deutfchen Renaiffance-Meifters gilt
ganz befonders was der gröfste lebende Kenner der technifchen Künfte
von den Productionen der Renaiffance überhaupt fagt: »Spielend und un-
gefucht knüpft fich der Sinn des Dargeftellten an den Gegenftand, den
es zu fchmücken beftimmt ift. Frei bewegt es fich innerhalb feiner for-
malen Schranken, dem Ganzen fich anfchmiegend, es erft vervollftändi-
gend, ohne fich des Rechts der felbftändigen Exiftenz zu entäufsern. Sein
Bezug zu dem Ganzen ift ein bei Weitem innigerer als der rein intellec-
tuelle des Sujets«2). Letzteres hängt oft nur fehr locker mit der Beftim-
mung des gefchmückten Gegenftandes zufammen. Medaillons mit Köpfen
fchmücken häufig den Bauch, Figuren flehen auf den Knäufen des Deckels.
9 Hollar, P. 2626 — 33. — Bafel, Skizzenb. 89. 99. 100. 102. 103. 104.
~) 'G. Semper. Der Stil etc. II, p. 87.
Deckel hat den Charakter des fefter und nachdrücklicher Abfchliefsenden,
den Ausgufs bildet eine hohe Dille in Geftalt einer Schlange, die am
untern Theil des Bauches herauswächft und der ein Henkel, in feiner
Form dem Schweif einer Klapperfchlange nachgebildet, entfpricht. Diefe
Theile, in welchen die Function des Gefäfses fich am deutlichften aus-
fpricht, find wohl berechtigt, folche Thierformen anzunehmen, dadurch
erhöhtes Leben zu gewinnen und dem Ganzen eine defto entfchiedenere
Richtung zu geben. Dafür hatte fchon das Alterthum die fchönften Bei-
fpiele geboten.
Und dann diefe anmuthigen Trinkgefäfse auf fchlankem Fufs 1), fo
leicht und elaftifch fich aufbauend, dafs ein kräftiges Leben bis in die
feinften Verzierungen zu pulfiren fcheint! Der antike Grundtypus ift feh-
gehalten, aber frei behandelt und geiftreich modificirt, alle jene reicheren
technifchen Mittel, welche der neueren Kunft zu Gebote Landen, find ver-
werthet. Das mannigfaltigfte Beiwerk, bald bildnerifch, bald malerifch
im Motiv, ift an fie verfchwendet; bei diefer Fülle war das Fefthalten
der ftiliftifchen Gefetze um fo fchwieriger, und doch find fie mit eben fo
grofser Feinheit als Beftimmtheit gewahrt. Faft ausfchliefslich waren es
Schaugefäfse, zu keinem wirklichen Gebrauch beftimmt, dennoch ift die
erfte Stilregel, dafs der, wenn nicht thatfächliche, fo doch fupponirte Zweck
fich ausprägen müffe, durchgängig feftgehalten. Holbein's Gefäfse kommen
nicht in die Gefahr, fofort zu verrathen, »nur zum Zwecke der darauf
angebrachten malerifchen oder bildnerifchen Kunft gemacht zu fein«, wie
fo manche heutige Prachtftücke, wie »faft Alles was finnreich fein wollende,
in der That aber geiftlofe Tendenzfucht, verbunden mit anmafsender
Selbftüberfchätzung, die fich nicht unterordnen mag, in unfern modernen
weltberühmten Porzellanmanufacturen und Goldfchmiedswerkftätten hervor-
bringt«. Von diefen Erfindungen des deutfchen Renaiffance-Meifters gilt
ganz befonders was der gröfste lebende Kenner der technifchen Künfte
von den Productionen der Renaiffance überhaupt fagt: »Spielend und un-
gefucht knüpft fich der Sinn des Dargeftellten an den Gegenftand, den
es zu fchmücken beftimmt ift. Frei bewegt es fich innerhalb feiner for-
malen Schranken, dem Ganzen fich anfchmiegend, es erft vervollftändi-
gend, ohne fich des Rechts der felbftändigen Exiftenz zu entäufsern. Sein
Bezug zu dem Ganzen ift ein bei Weitem innigerer als der rein intellec-
tuelle des Sujets«2). Letzteres hängt oft nur fehr locker mit der Beftim-
mung des gefchmückten Gegenftandes zufammen. Medaillons mit Köpfen
fchmücken häufig den Bauch, Figuren flehen auf den Knäufen des Deckels.
9 Hollar, P. 2626 — 33. — Bafel, Skizzenb. 89. 99. 100. 102. 103. 104.
~) 'G. Semper. Der Stil etc. II, p. 87.