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Woltmann, Alfred; Holbein, Hans [Ill.]
Holbein und seine Zeit (1. Band): Des Künstlers Familie, Leben und Schaffen — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.70660#0075
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ALTAR FÜR FRANKFURT.

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er ihn auf einer Wanderung zu erlangen wufste, läfst fich nicht ermitteln.
Jedenfalls nannte er fich in der lateinifchen Infchrift auf der Rückfeite
des Schreines ausdrücklich Hans Holbein von Augsburg. Die zahlreichen
Tafeln diefes Altars find, nachdem fie lange zerftreut waren, erft feit
kurzem wieder, foweit fie noch erhalten, in Frankfurt. Die Leonhards-
kirche enthält ein Abendmahl, welches einft das Mittelftück der Altar-
ftaffel bildete; vier dazu gehörige Flügelbilder: der Einzug Chrifti in
Jerufalem, die Vertreibung der Wechsler aus dem Tempel, Chriftus am
Oelberg und die Fufswafchung, werden in der ftädtifchen Sammlung im
Saalhofe bewahrt. Ebenda befinden fich vier Tafeln, welche ehemals die
Rückwand des grofsen Schreins bekleideten; fie enthalten, in je zwei Ab-
theilungen, den Stammbaum Chrifti und den der Dominikaner, vom hei-
ligen Dominicus bis zum heiligen Vincenz, dem die Jungfrau Maria
das Scapulier überreicht. Das Städel'fche Inftitut endlich hat vor mehre-
ren Jahren fieben von acht grofsen Tafeln mit Paffionsfcenen erworben,
welche ehemals Vorder- und Rückfeiten der Flügel bildeten. Sie find
die beften Stücke des Ganzen, von ficherer, wirkungsvoller Pinfelführung.
Das Ganze war ein in bildliche Darftellung überfetztes Paffionsfpiel,
zu welchem die Sockelbilder gleichfam als Prolog dienten, denn die Al-
tarwerke fchloffen fich, wie Springer in feinen Ikonographifchen Studien1)
bewiefen hat, in Stoff und Anordnung ganz an die geiftlichen Dramen
oder Myfterien an. Und fo find denn die einzelnen Darftellungen oft
nicht fowohl wirkliche Handlungen als vielmehr Schaufpielfcenen, in der
ehrlich gemeinten aber burlesk-übertriebenen Weife, wie fie Herkommen
und Volksgefchmack verlangen. Dies ift ein Gebrauch der Zeit, dem fich
der Künftler nicht entziehen kann, aber in manchem Einzelnen verräth fich
fchon eine felbftändige Beobachtung des Lebend, und in den heiligen
Perfonen ein feines, edles Gefühl. Holbein's Chriftusgeftalt kommt
Schongauer's Bildern des Heilandes an Sanftmuth und hoher Milde nahe.
Aber während diefe Geftalt ihr ideales Gepräge bewahrt, geht bei den
übrigen der derbe Realismus oft über alles Mafs. Die wilden Schergen
und Kriegsknechte find gröfstentheils in die bairifchen Farben, blau und
weifs, gekleidet, ein Scherz, den fich der Maler, in feiner Abneigung gegen
die böfen Nachbarn Augsburg's, öfters erlaubt. Auf der Gefangen-
nehmung ift die ruhige Duldermiene Chrifti, feine leidenfchaftslofe Klar-
heit in dem Momente, da der Verräther ihn küfst, fchön und ergreifend.
Nebft diefem Bilde befanden fich auf der Aufsenfeite: Chriftus vor Kai-
phas, Geifselung und Dornenkrönung. Die Innenfeiten enthielten links
Eccehomo und Kreuztragung; auf letzterer fleht an Stelle des Simon
von Cyrene ein Dominikanermönch dem Heiland bei. Rechts folgte eine

9 Mittheilungen der K. K. Centralcommiffion, Wien, 1860.
 
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