174 Sechstes Buch. Erfter Abfchnitt.
konnte jetzt daher nach. Rom entweichen. In offenem Ruderbote unternahm
er die Flucht von Neapel nach Rom. Unterwegs landete er jedoch einmal.
Bei diefer Gelegenheit wurde er noch auf neapolitanifchem Gebiete verhaftet.
Als man ihn freiliefs, fand er, dafs fein Boot mit feiner ganzen Habe geraubt
Sein Ende. fei. Ein hitziges Fieber ergriff ihn. Mühfam fchleppte er fich bis Porto d’Er-
cole, wo er, von aller Welt verlaßen, feinen unruhigen Geift aushauchte. Er
war nur vierzig Jahre alt geworden.
Seine Werke, Gleichwohl hatte er, furchtbar wie er war, in Rom, Neapel, Malta und
Sicilien eine grofse Anzahl von Werken hinterlaffen, von denen viele fpäter
ihren Weg in öffentliche Sammlungen Europas fanden, fo dafs es nicht eben
TeT'L fchwer ift, feine Kunftweife kennen zu lernen. Die Wandlung-, welche feine erfte
von feiner zweiten Art trennt, vollzog fich fchon während feines Aufenthaltes
in Rom. Seiner er ft en Weife gehören zumeift Sittenbilder, Scenen aus dem
Se™^j.nre' Volksleben, an. Verejnzelt hatten fchon frühere Meifter fich in folchen lebens-
grofsen Genrebildern verfucht. Man denke nur an das wundervolle Concert-
ftück des Pal. Pitti, welches von Giorgione oder Tizian herrührt (oben Bd. II,
S. 728 bis 729 und S. 746 Anm. 3)! Caravaggio aber war der erfte Italiener,
der diefen Kunftzweig mit Bewufstfein zu feinem Hauptfache machte; wenn
in den Niederlanden auch Meifter wie Q. und Jan Maffys (oben Bd. II, S. 513),
P. Aertfen, Hemefsen und Beukelaar (oben S. 60—64) auf diefem Gebiete
vorangegangen waren, fo hat Caravaggio fich doch unabhängig von ihnen ent-
wickelt ; und gerade gegenüber der mehr oder weniger banaufifchen oder doch
fpiefsbürgerlichen Auffaffung, welche die grofsen Genrebilder diefer nieder-
ländifchen Meifter des 16. Jahrhunderts zeigen, fcheint feine Sittenmalerei
fchon durch die romantifche Wahl feiner Stoffe auf einem höheren Boden zu
erften wTife ftehen- Prüfen wir nur einige diefer frühen Bilder des Meifters darauf hin!
Ga/zuRom Da ift die »Wahrfagerin mit dem Jüngling« in der capitolinifchen Galerie zu
Rom, ein Bild, welches fofort untere Einbildungskraft gefangen nimmt, weil
wir in den begehrlichen Augen der Schönen noch etwas anderes, als gefchäfts-
mäfsige Wahrfagerei entdecken; da ift die berühmte Darftellung der »falfchen
im Pal. Spieler« im Pal. Sciarra zu Rom, welche uns, indem fie uns zeigt, wie der
Rom’ liebenswürdige Sohn vermögender Eltern von zwei Gaunern im Kartenfpiel
betrogen wird, einen Blick in das römifche Leben jener Tage thun läfst; da ift
Uchtenftei'n die entzückende Lautenfpielerin der Galerie Liechtenftein zu Wien (Fig. 462), ganz
zu Wien, Leben L1nd Wahrheit und zugleich ganz fonnige und helle Poefie, wie fie die
Niederländer erft viel fpäter in ihren Genrebildern auszudrücken gewagt haben.
Caravaggio’s »Lautenfpielerin« ift die Stammmutter aller ähnlichen, felbft der
in der viel kleineren Darftellungen, welche die Niederländer im Laufe des 17. Jahr-
zu St. hunderts und bis ins 18. hinein fchufen. Ihr reihen z. B. noch der »Lauten-
Lord2’Spieler« in der Eremitage zu St. Petersburg, die Mufikergruppe beim Lord
^London, Ashburton in London und das feine Selbftbildnifs des Meifters in den Uffizien
uffizi^zu an- Von feinen religiöfen Darftellungen aber gehört die von Anderen
imPafmoria ^nem Schüler Carlo Saraceni zugefchriebene fchöne »Ruhe auf der Flucht nach
UebeT°anfs ^e.?yPten<< mit dem geigenden Engel im Pal. Doria zu Rom hierher; und an
bilder im der Grenze feiner zweiten Periode liehen die beiden geiftvollen allegorifchen
Berliner ° .. .
Mufeum. Gemälde des Berliner Mufeums, von denen das eine die ungezügelte irdifche
konnte jetzt daher nach. Rom entweichen. In offenem Ruderbote unternahm
er die Flucht von Neapel nach Rom. Unterwegs landete er jedoch einmal.
Bei diefer Gelegenheit wurde er noch auf neapolitanifchem Gebiete verhaftet.
Als man ihn freiliefs, fand er, dafs fein Boot mit feiner ganzen Habe geraubt
Sein Ende. fei. Ein hitziges Fieber ergriff ihn. Mühfam fchleppte er fich bis Porto d’Er-
cole, wo er, von aller Welt verlaßen, feinen unruhigen Geift aushauchte. Er
war nur vierzig Jahre alt geworden.
Seine Werke, Gleichwohl hatte er, furchtbar wie er war, in Rom, Neapel, Malta und
Sicilien eine grofse Anzahl von Werken hinterlaffen, von denen viele fpäter
ihren Weg in öffentliche Sammlungen Europas fanden, fo dafs es nicht eben
TeT'L fchwer ift, feine Kunftweife kennen zu lernen. Die Wandlung-, welche feine erfte
von feiner zweiten Art trennt, vollzog fich fchon während feines Aufenthaltes
in Rom. Seiner er ft en Weife gehören zumeift Sittenbilder, Scenen aus dem
Se™^j.nre' Volksleben, an. Verejnzelt hatten fchon frühere Meifter fich in folchen lebens-
grofsen Genrebildern verfucht. Man denke nur an das wundervolle Concert-
ftück des Pal. Pitti, welches von Giorgione oder Tizian herrührt (oben Bd. II,
S. 728 bis 729 und S. 746 Anm. 3)! Caravaggio aber war der erfte Italiener,
der diefen Kunftzweig mit Bewufstfein zu feinem Hauptfache machte; wenn
in den Niederlanden auch Meifter wie Q. und Jan Maffys (oben Bd. II, S. 513),
P. Aertfen, Hemefsen und Beukelaar (oben S. 60—64) auf diefem Gebiete
vorangegangen waren, fo hat Caravaggio fich doch unabhängig von ihnen ent-
wickelt ; und gerade gegenüber der mehr oder weniger banaufifchen oder doch
fpiefsbürgerlichen Auffaffung, welche die grofsen Genrebilder diefer nieder-
ländifchen Meifter des 16. Jahrhunderts zeigen, fcheint feine Sittenmalerei
fchon durch die romantifche Wahl feiner Stoffe auf einem höheren Boden zu
erften wTife ftehen- Prüfen wir nur einige diefer frühen Bilder des Meifters darauf hin!
Ga/zuRom Da ift die »Wahrfagerin mit dem Jüngling« in der capitolinifchen Galerie zu
Rom, ein Bild, welches fofort untere Einbildungskraft gefangen nimmt, weil
wir in den begehrlichen Augen der Schönen noch etwas anderes, als gefchäfts-
mäfsige Wahrfagerei entdecken; da ift die berühmte Darftellung der »falfchen
im Pal. Spieler« im Pal. Sciarra zu Rom, welche uns, indem fie uns zeigt, wie der
Rom’ liebenswürdige Sohn vermögender Eltern von zwei Gaunern im Kartenfpiel
betrogen wird, einen Blick in das römifche Leben jener Tage thun läfst; da ift
Uchtenftei'n die entzückende Lautenfpielerin der Galerie Liechtenftein zu Wien (Fig. 462), ganz
zu Wien, Leben L1nd Wahrheit und zugleich ganz fonnige und helle Poefie, wie fie die
Niederländer erft viel fpäter in ihren Genrebildern auszudrücken gewagt haben.
Caravaggio’s »Lautenfpielerin« ift die Stammmutter aller ähnlichen, felbft der
in der viel kleineren Darftellungen, welche die Niederländer im Laufe des 17. Jahr-
zu St. hunderts und bis ins 18. hinein fchufen. Ihr reihen z. B. noch der »Lauten-
Lord2’Spieler« in der Eremitage zu St. Petersburg, die Mufikergruppe beim Lord
^London, Ashburton in London und das feine Selbftbildnifs des Meifters in den Uffizien
uffizi^zu an- Von feinen religiöfen Darftellungen aber gehört die von Anderen
imPafmoria ^nem Schüler Carlo Saraceni zugefchriebene fchöne »Ruhe auf der Flucht nach
UebeT°anfs ^e.?yPten<< mit dem geigenden Engel im Pal. Doria zu Rom hierher; und an
bilder im der Grenze feiner zweiten Periode liehen die beiden geiftvollen allegorifchen
Berliner ° .. .
Mufeum. Gemälde des Berliner Mufeums, von denen das eine die ungezügelte irdifche