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Woermann, Karl; Woltmann, Alfred [Editor]; Woermann, Karl [Editor]
Geschichte der Malerei (Band 3,1) — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.48521#0282
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Sechstes Buch. Zweiter Abfchnitt.

27O

Andere
Bildniffe im
Madrider
Mufeum.

Mytholo-
gifche Dar-
ftellungen im
Madrider
Mufeum.

Religiöfe
Darftellun-
gen im
Madrider
Mufeum.

»Die
Teppich-
wirkerinnen«
im Madrider
Mufeum.

»Las
Meninas« im
Madrider
Mufeum.

Kopf in bunter Kleidung auf glattem Fliefenboden daftehenden Mannes, der
den Spitznamen Don Juan d’Auftria führte, und eines pfiffig dreinfchauenden
Zwerges, der einen grofsen Hund am Bande hält (Wiederholung im Berliner
Mufeum), gehören zu den tüchtigften Arbeiten der Spätzeit des Meifters und
zu feinen intereffanteften Werken im Madrider Mufeum. Ihnen fchliefsen, eben-
dort, das ausgezeichnete Porträt eines Bildhauers und die beiden aufserordent-
lich lebendig und geiftvoll durchgeführten, keck aus dem Leben gegriffenen, durch
deutliche Infchriften aber als griechifche »Idealbildniffe« gekennzeichneten Dar-
ftellungen des Aefopus und des Menippos fich an.j) Weniger anziehend find
die wirklichen mythologifchen Darftellungen des Meifters aus diefer Zeit, welche
das Mufeum befitzt: »Mercur im Begriffe Argos zu töten«, urfprünglich als
Decorationsftück des Spiegelfaales des Schloffes und als Gegenftück zu einer
verlorenen Darftellung der »Schindung des Marfyas durch Apollon« gemalt, und
der Kriegsgott Mars, fitzend, faft nackt, von allen feinen Attributen umgeben
und doch eben nur eine lebendige Aktfigur, der man das Modell beim erften
Blicke anfieht. Viel intereffanter, zugleich landfchaftlich hochbedeutend, ift die
Darftellung des Befuches des hl. Abtes Antonius bei dem hl. Einfiedler Paulus
in der Wüfte, ebenfalls im Madrider Mufeum; und diefe glückliche Sammlung
befitzt endlich auch die beiden grofsen Meifterwerke der letzten Zeit des
Velazquez, in welchen fein fpäter Stil fich in feiner eigenartigften und glänzendften
Entfaltung zeigt: »die Teppichwirkerinnen« (»Las Hilanderas«) und »die Familie«
oder die »Hofdamen« (»Las Meninas«): beides figurenreiche lebensgrofse Dar-
ftellungen von genrehaftem Charakter. Die zuerft genannte ift fogar ein »Genre-
bild« im eigentlichften Sinne des Wortes. Im Vordergründe ift der Fabrikraum
dargeftellt, in dem wir fünf, zum Theil hübfche und junge Teppichwirkerinnen
in den lebendigften Stellungen und Bewegungen bei ihrer Arbeit fehen. Im
Hintergründe, der durch eine grofse Rundbogenöffnung mit diefem von
feinem Halblichte erfüllten Vorderraume in Verbindung fteht, ift der durch
ein nicht fichtbares Fenfter hell erleuchtete Verkaufsraum dargeftellt. Die
fertigen Teppiche (Gobelins) hängen hier an den Wänden; und vornehme
Damen betrachten die ausgehängte Waare. Gerade diefes Bild ift, in der Nähe
gefehen, nur ein wirres Nebeneinander keck hingeworfener Pinfelftriche, aus
einer gewißen Entfernung betrachtet aber ein wahres Wunder von malerifch
aufgefafster körperlicher Rundung in den Figuren, erftaunlichfter perfpectivifcher
Vertiefung im Raume und natürlichfter, klarfter Frifche in der Farbengebung.
»Las Meninas« hingegen find, genau genommen, ein grofses Familiengruppenbild.
Der Künftler hat fich felbft dargeftellt, im Begriffe den König und die Königin
zu malen (Fig. 490); neben ihm find die beiden Ehrendamen um die kleine
Prinzeffin Margaretha Maria befchäftigt; ganz rechts fteht die Zwergin Maria
Bärbola mit ihrem ungeheuren Kopf, fteht der zierliche Zwerg Nicolafito Pertu-
fato und liegt ein grofser fchläfriger Hund am Boden. Das ift alles. Aber
wie hat Velazquez diefes Stück fpanifchen Fürftenlebens des !/• Jahrhunderts
aufgefafst und wiedergegeben! Es war ein kühner Einfall des Künftlers, den

1) Vgl. Don Pedro de Madrazo’s Auffatz über diefe Bilder in der Zeitfchrift L’Art, Paris 1878,
IV, p. 169—176.
 
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