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Woermann, Karl; Woltmann, Alfred [Hrsg.]; Woermann, Karl [Hrsg.]
Geschichte der Malerei (Band 3,2) — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.48522#0019
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Die holländifche Malerei des 17. Jahrhunderts.

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geiltige Grofsmachtftellung wenigftens auf denjenigen Gebieten, in denen die
Holländer, wie in der Politik, ganz ihrem Selbftändigkeitstrieb folgend, nur ihrem
eigenften Wollen und Können Ausdruck gaben.
Auf allen Gebieten war dies allerdings keineswegs in fo hohem Mafse der Die beiden
. r 1 • • i ° ° Richtungen
Fall, wie auf demjenigen der Malerei, die eben deshalb zur eigentlichen National- des hoiiän-
kunft der Holländer wurde. Ueberall trat die alte holländifche »Deftigheit« Geiftes-
mit ihrer Vorliebe fürs Hergebrachte, Steife und Würdevolle dem frifchen
jugendlichen Ringen nach neuen, felbftgefleckten Zielen noch in den Weg. Der
volle Gegenfatz, in den die holländifche Malerei des 17. Jahrhunderts gerade in
ihren bleibendften Leiftungen zur Kunft des klaffifchen Alterthums trat, war
daher an fich von den tonangebenden Geiftern Hollands auch mehr geduldet,
als erflrebt worden. Es hat fich hier, wie fo oft, eben erft hinterher heraus-
gefbellt, welche Leiftungen wirklich fchöpferifcher, wirklich dauernder und daher
auch wirklich »klaffifcher« Art waren; und die Nachwelt hält fich auch hier,
unbekümmert um die anderweitigen Beftrebungen der ehemaligen Mitwelt,
an diejenigen Leiftungen, welche noch für fie bahnbrechend weiterwirken.
Dafs auch auf dem Gebiete der reinften Geiftes-Wiffenfchaft, der phil^® hie
fpeculativen Philofophie, in Holland damals Bahnbrechendes in diefem Sinneln Holland-
geleiflet wurde, kann allerdings nicht in Abrede geftellt werden. Haben doch
Rene Descartes, John Locke und Baruch Spinoza, diefe drei himmelftürmenden
Denker des fiebzehnten Jahrhunderts, ihre Syfteme zum grofsen Theile auf
niederländifchem Boden erfonnen und niedergefchrieben. Aber Descartes war
Franzofe, Locke war Engländer, und Spinoza war, wenn er auch in Amfterdam
geboren war, doch feinem Blute nach portugiefifcher Jude. Als holländifche
Geiflesproducte können ihre Werke um fo weniger angefehen werden, als die
Holländer jener Tage felbft nur Ketzer in diefen Gälten ihres Landes fahen
und ihr eigenes metaphyfifch - fpeculatives Bedürfnifs innerhalb der einerfeits
durch Calvin, andererfeits durch Zwingli gezogenen Schranken befriedigten. Um
fo erfolgreicher waren fie, wo es ihre praktifchen Intereffen theoretifch zu be-
gründen galt. Was Hugo Grotius, der grofse Rechtsgelehrte, welcher dem ^eacsht) ^r-
Seerecht in feinem »Mare liberum« eine philofophifche Grundlage gab und Grotlus’-
durch feine Schrift »De jure belli et pacis« zum Vater des neueren Völker-
rechts wurde, zunächfl im eigenften Intereffe feines Vaterlandes in ein Syftem
brachte und vertheidigte, gehört in der That zu den immer noch nachwirkenden
Grofsthaten des holländifchen Geiftes.
Auf dem Gebiete der Dichtkunft kommen die in lateinifcher Sprache hollJ)1de.fche
fchreibenden holländifchen Poeten des 17. Jahrhunderts für uns natürlich nicht Dichtkunft.
in Betracht; aber auch die meiften der in grofsem Stile holländifch fchreibenden
Epiker und Tragiker gehören, fo hoch verdient fie fich um die Reinhaltung,
Geftaltung und Veredlung ihres Zweiges unterer grofsen gemeinfamen Mutter-
fprache gemacht haben, keineswegs zu den noch heute anregend und befruch-
tend weiterwirkenden Grofsen der holländifchen Geiftesgefchichte. Sie verftanden
es eben nicht, wie die gleichzeitigen holländifchen Maler, fich auf eigene Füfse
zu ftellen, fondern blieben im Schlepptau der Römer, Franzofen oder Spanier
hängen. Stand der gefeiertfte diefer holländifchen Dichter, Joest van den (^tjey0)’ld",
Vondel (geb. 1587 zu Köln, geft. 1679 zu Amfterdam) dem Selbftändigkeits-
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