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Woermann, Karl; Woltmann, Alfred [Editor]; Woermann, Karl [Editor]
Geschichte der Malerei (Band 3,2) — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.48522#0025
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Die holländifche Malerei des 17. Jahrhunderts. 553
Landfchafts- und die See-Malerei in Holland auf neuen Wegen zu eigenartiger
Vollendung emporftrebte, und dafs felbft das Architekturftück, das Stilleben
und das Frucht- und Blumenftück erfl durch holländifche Meifterhände ihre
reiffte xA.usbildung erhielten. Es würde uns jedoch zu weit führen, hier im
Voraus die Befonderheiten der holländifchen Auffaffung und Durchführung von
Bildern aller diefer Fächer zu charakterifiren.
Nur die allen Fächern gemeinfamen Eigenheiten und Vorzüge der hol- Vorzü,fe
00 O des hollan-
ländifchen Kunft müffen wir uns hier noch kurz zu vergegenwärtigen fuchen. „ difchen
Dafs die holländifche Malerei, wenn man die hergebrachte Bezeichnung der
hauptfächlichften Kunflrichtungen als idealiftifch und ftiliftifch auf der einen, als
realiftifch und individualiftifch auf der anderen Seite gelten laffen will, zu den
letzteren gehört, braucht nach allem Gefagten kaum noch wiederholt zu werden.
Realiftifch ift fie in der That nicht nur ihrem Stoffgebiet, fondern auch ihrer
Auffaffung und ihrer Behandlung nach. Sie theilt daher auch alle Vorzüge
jeder gut realiftifchen Kunft: fie fieht nicht nur in allen Menfchen, welche fie
darftellen will, Einzelwefen, von denen jedes uns mit dem Reize ausgefprochenen
Eigenlebens entgegentritt, fondern fie weifs in gleicher Weife auch die Thiere,
die Bäume, die Pflanzen, ja felbft die unorganifche Natur und die Werke der
Menfchenhand, Gebäude und Strafsen, zu individualifiren und dadurch innerlich zu
befeelen; ihre Schöpfungen flöfsen uns daher immer neues Intereffe ein, packen
uns mit der vollen Kraft der Unmittelbarkeit und regen uns in fo mannich-
faltiger Weife an, wie die Werke kaum einer anderen Schule; fie laffen uns
tiefe Blicke in das durch fcharfe Beobachtung erfafste Seelenleben der ver-
fchiedenften Charaktere und fogar in das nur geahnte Leben und Weben eines
unfichtbaren Weltgelds in der ganzen Schöpfung thun. Freilich aber theilt die ^5-
holländifche Malerei die Kehrfeite diefer Kunftrichtung: die Klippe des Derben Vorzüge,
und Unfchicklichen vermeidet fie nicht unter allen Umftänden; und da fie nur
darftellen will und kann, was fie unmittelbar fieht und beobachtet, fo ift ihr
nicht nur die feinere Linienwirkung der höheren monumentalen und decorativen
Kunft, fondern auch die Möglichkeit verfchloffen, lebendige Handlungen in
wuchtiger Gefchloffenheit wiederzugeben. Sie ftellt im Wefentlichen, hierin, wie
in vielen Stücken, der venezianifchen Malerei verwandt, ruhige Vorgänge dar
und fteht der benachbarten vlämifchen Kunft in der Darftellung dramatifcher
Augenblicke in der Regel eben fo fehr nach, wie fie ihr in der Wiedergabe
eigenartig ausgeprägter Charaktere überlegen ift. Es kann diefes jedoch kein
Tadel fein. Dafs das eklektifche Streben, die Vorzüge aller Richtungen zu
verbinden, nur zu kalten, unerquicklichen Schöpfungen führt, lehren alle Zeiträume
der Kunftgefchichte. Gerade weil die holländifche Kunft in ihrer Eigenheit
bleibt, leiftet fie in diefer ein Höchftes.
Einen wefentlichen Theil ihres höchlten und eigenartigften Reizes verdankt Beh°idelung
die holländifche Malerei ihrer Behandlung des Lichtes, des atmofphärifchen des Lichtes.
Lebens, der technifch als »Helldunkel« bezeichneten Uebergänge vom Licht in
den Schatten. Die Holländer zeigen fich auch auf diefem Gebiete als echte
Realiflen, als treue Beobachter ihrer eigenen Natur, ihres einheimifchen Lichtes.
Der holländifche Himmel ift äufserft feiten fo klar und durchfichtig, wie er fich
über füdlichere oder weiter vom Meere entfernt gelegene Länder wölbt. Die
 
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