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Siebentes Buch. Sechster Abfchnitt.
ift bei Hogarth immer ausgefchloffen. In den meiften feiner Darftellungen tritt
er uns in erfter Linie, wenn auch nicht feiten mit Lachen erregendem Witz,
als ftrenger, ernfter Sittenrichter entgegen, der der Schmach ihr eigenes Antlitz
zeigt und dem Lafter fein eigenes Bild. Die Trunkfucht, die Ausfchweifung,
die Habfucht, die Beflechlichkeit, die Faulheit, die Putzfucht (feiner Zeit und
feines Volkes, fügt man in der Regel hinzu; im Grunde aber find es Lafter,
die fich zu allen Zeiten und bei allen Völkern wiederholen) verfolgt er mit
unerbittlicher Schärfe. So überfüllt mit Einzelheiten manche feiner Darftellungen
erfcheinen, fo wenig überflüffig ift das Geringfle auf ihnen. Jedes Mienenfpiel
und jede Bewegung auch der entfernteften Nebenfiguren, jedes Bild an der Wand,
jedes Schild auf der Strafse, jedes Geräth des Vordergrundes oder des Hinter-
grundes hat feine wohl überlegte Beziehung zu dem Hauptvorgang und der in
ihm verkörperten moralifchen Idee. Künftlerifch betrachtet, thut Hogarth
auch in diefer Beziehung des Guten viel zu viel. Es Reckt allerdings ein
Stück der literarifch-fatirifchen Ader feiner Landsleute Swift und Smollet in
ihm. Auf feinem Selbfibildnifs hat er bezeichnend genug aufser der »Schön-
heitslinie«, die feine fixe Idee war, Swifts Werke angebracht; und die Grenze
der poetifchen und der malerifchen GeRaltung eines Witzes oder eines fatiri-
fchen Gedankens war ihm wirklich noch nicht immer zum Bewufstfein ge-
kommen. Anziehend werden uns feine fatirifchen Sittenbilder, in denen feine
Stärke liegt, fafi niemals erfcheinen, um fo öfter aber geifireich, lehrreich und
intereffant; und da die Nachwelt jeden in feiner Art bedeutenden Künftler
nehmen mufs, wie er ift, und froh fein mufs, wenn fie auf einen in irgend einer
Art wirklich originellen und unabhängigen Meifter fiöfst, fo wird fie auch
Hogarth die unleugbaren künftlerifchen Schwächen vieler feiner Bilder nachfehen
und ihm als kunftgefchichtlicher Erfcheinung, die ihren Mafsfiab nur in fich felbft
trägt, den Ehrenplatz am Eingangsthor der neueren englifchen Kunfigefchichte
laffen, den fchon die meifien feiner Zeitgenoffen ihm angewiefen haben.
Hogarths Wollen wir Hogarth’s Verfuche auf dem Gebiete der ernfien »Hifiorien-
Hiftorien- b °
bilder malerei« im voraus abthun, fo fei zunächfi bemerkt, dafs wir einige feiner ab-
fchreckendften Compofitionen, wie »Paulus’ Predigt« und »Paulus vor Felix«
nur durch die Stiche kennen. Sein berüchtigtes Gemälde »Sigismonda mit dem
Herzen ihres hingerichteten Gemahls Guiscardo«, deffen Annahme Sir Richard
Grosvenor, welcher es 1759 befiellt hatte, verweigerte, aber befindet fich, allen
zugänglich, als warnendes Beifpiel, die Grenzen feines Könnens zu prüfen, in
‘(National1 der National Gallery zu London. Unerfreulich ift »die Findung Mofis« im
(FoundHng- Gemäldefaal des Foundling-Hofpitals zu London. Wahrhaft fürchterlich find
Hofpuai), die beiden grofsen Altarblätter, welche vor einiger Zeit aus der Kirche
in Briftoi, St. Mary-Radcliff zu Briftol, für welche Hogarth fie gemalt hatte, in die Fine
Art Academy diefer Stadt geflüchtet worden find. Verhältnifsmäfsig am beften,
weil ihrem Gegenftande nach naturgemäfs mit den meiften realiftifchen und fitten-
bildlichen Einzelheiten ausgeftattet, find feine beiden Riefenbilder im Treppen-
^omäu?-0 haufe des St. Bartholomäus-Hofpitals zu London, welche den »barmherzigen
^o^doi/11 Samariter« und den »Teich Bethesda« darftellen.
bmä Sind Hogarth’s Bilder diefer Art Alles in Allem feine fchwächften Lei-
ftungen, fo find, rein künftlerifch angefehen, feine Bildniffe umgekehrt feine
Siebentes Buch. Sechster Abfchnitt.
ift bei Hogarth immer ausgefchloffen. In den meiften feiner Darftellungen tritt
er uns in erfter Linie, wenn auch nicht feiten mit Lachen erregendem Witz,
als ftrenger, ernfter Sittenrichter entgegen, der der Schmach ihr eigenes Antlitz
zeigt und dem Lafter fein eigenes Bild. Die Trunkfucht, die Ausfchweifung,
die Habfucht, die Beflechlichkeit, die Faulheit, die Putzfucht (feiner Zeit und
feines Volkes, fügt man in der Regel hinzu; im Grunde aber find es Lafter,
die fich zu allen Zeiten und bei allen Völkern wiederholen) verfolgt er mit
unerbittlicher Schärfe. So überfüllt mit Einzelheiten manche feiner Darftellungen
erfcheinen, fo wenig überflüffig ift das Geringfle auf ihnen. Jedes Mienenfpiel
und jede Bewegung auch der entfernteften Nebenfiguren, jedes Bild an der Wand,
jedes Schild auf der Strafse, jedes Geräth des Vordergrundes oder des Hinter-
grundes hat feine wohl überlegte Beziehung zu dem Hauptvorgang und der in
ihm verkörperten moralifchen Idee. Künftlerifch betrachtet, thut Hogarth
auch in diefer Beziehung des Guten viel zu viel. Es Reckt allerdings ein
Stück der literarifch-fatirifchen Ader feiner Landsleute Swift und Smollet in
ihm. Auf feinem Selbfibildnifs hat er bezeichnend genug aufser der »Schön-
heitslinie«, die feine fixe Idee war, Swifts Werke angebracht; und die Grenze
der poetifchen und der malerifchen GeRaltung eines Witzes oder eines fatiri-
fchen Gedankens war ihm wirklich noch nicht immer zum Bewufstfein ge-
kommen. Anziehend werden uns feine fatirifchen Sittenbilder, in denen feine
Stärke liegt, fafi niemals erfcheinen, um fo öfter aber geifireich, lehrreich und
intereffant; und da die Nachwelt jeden in feiner Art bedeutenden Künftler
nehmen mufs, wie er ift, und froh fein mufs, wenn fie auf einen in irgend einer
Art wirklich originellen und unabhängigen Meifter fiöfst, fo wird fie auch
Hogarth die unleugbaren künftlerifchen Schwächen vieler feiner Bilder nachfehen
und ihm als kunftgefchichtlicher Erfcheinung, die ihren Mafsfiab nur in fich felbft
trägt, den Ehrenplatz am Eingangsthor der neueren englifchen Kunfigefchichte
laffen, den fchon die meifien feiner Zeitgenoffen ihm angewiefen haben.
Hogarths Wollen wir Hogarth’s Verfuche auf dem Gebiete der ernfien »Hifiorien-
Hiftorien- b °
bilder malerei« im voraus abthun, fo fei zunächfi bemerkt, dafs wir einige feiner ab-
fchreckendften Compofitionen, wie »Paulus’ Predigt« und »Paulus vor Felix«
nur durch die Stiche kennen. Sein berüchtigtes Gemälde »Sigismonda mit dem
Herzen ihres hingerichteten Gemahls Guiscardo«, deffen Annahme Sir Richard
Grosvenor, welcher es 1759 befiellt hatte, verweigerte, aber befindet fich, allen
zugänglich, als warnendes Beifpiel, die Grenzen feines Könnens zu prüfen, in
‘(National1 der National Gallery zu London. Unerfreulich ift »die Findung Mofis« im
(FoundHng- Gemäldefaal des Foundling-Hofpitals zu London. Wahrhaft fürchterlich find
Hofpuai), die beiden grofsen Altarblätter, welche vor einiger Zeit aus der Kirche
in Briftoi, St. Mary-Radcliff zu Briftol, für welche Hogarth fie gemalt hatte, in die Fine
Art Academy diefer Stadt geflüchtet worden find. Verhältnifsmäfsig am beften,
weil ihrem Gegenftande nach naturgemäfs mit den meiften realiftifchen und fitten-
bildlichen Einzelheiten ausgeftattet, find feine beiden Riefenbilder im Treppen-
^omäu?-0 haufe des St. Bartholomäus-Hofpitals zu London, welche den »barmherzigen
^o^doi/11 Samariter« und den »Teich Bethesda« darftellen.
bmä Sind Hogarth’s Bilder diefer Art Alles in Allem feine fchwächften Lei-
ftungen, fo find, rein künftlerifch angefehen, feine Bildniffe umgekehrt feine