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Wulff, Oskar
Altchristliche und byzantinische Kunst (Band 1): Die altchristliche Kunst von ihren Anfängen bis zur Mitte des ersten Jahrtausends — Berlin-Neubabelsberg, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.25054#0024
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ALEXANDRIAS ANTEIL AN DER CHRISTLICHEN KUNSTENTWICKLUNG

Boden Alexandrias entwächst. In der hellenistischen Weltstadt des Nildelta hatte das sentimen-
tale Naturgefühl einer kulturgesättigten Gesellschaft schon in ptolomäischer Zeit in Dichtung
und Kunst das Idyll des Hirten- und Fischerlebens als neue Gattung geschaffen. Daran
knüpft die christliche Kunst in ihren Anfängen unverkennbar an. Andrerseits hatte sich das
Judentum wohl nirgends so stark griechischer Denkweise und Lebensgewohnheit ergeben.
Nirgends hat synkretischer Zauber und magische Beschwörung so geblüht, und die alttesta-
mentliche Gottesvorstellung sich so heidnisch gefärbt. Jao nennen die zahlreichen unter dem
Sammelnamen „gnostisch“ gehenden Abraxasgemmen das höchste Wesen. Aus dem Bedürfnis
solchen Volksaberglaubens mag die erste alttestamentliche Typenreihe gestaltet worden sein,
die das Christentum übernahm. Wie ihre primitiven Vorstufen ausgesehen haben, das bleibt
freilich noch heute Vermutung. Aber auch die früheste bildliche Verkörperung des Wunder-
täters Christus und seiner Mutter verrät Einflüsse des alexandrinischen Synkretismus und
seiner Magie. Der älteste jugendliche Idealtypus Christi scheint sogar nach dem Vorbilde
antiker Lichtgötter auf dem Boden der Gnosis geprägt zu sein, jener im Zeitalter Hadrians
entspringenden Religionsphilosophie, die christliche Gedanken in das System einer mystischen
Weltentwicklungslehre verwoben hat und von den Kirchenvätern bis ins 4. Jahrhundert heftig
bekämpft werden mußte. Mit solchen Umdeutungen und Entlehnungen beginnt das Ein-
strömen christlicher Vorstellungen in die antike Kunstform, das die Entwicklung bis in das
3. Jahrhundert beherrscht, wie auch die jüdisch-hellenistische Philosophie eines Philo (geh.
um 20 v. Chr.) ihre Fortsetzung in der christlichen Logoslehre der Katechetenschule von
Alexandria findet. Und schon sehen wir, wie die theologische Spekulation zur künstlerischen
Gestaltung billigend oder ablehnend Stellung nehmen muß. Es ist kein Zufall, daß Clemens
Alexandrinus (f 220), besonders im „Pädagogus“, vielfach in Bildern redet, die ihr entlehnt
scheinen, — daß er die Symbole der Grabsteine aus den Katakomben aufzählt und sich gegen
Orpheus wendet. Nirgends war diese junge Kunst so sehr in Gefahr, „christliche Antike“
zu werden, — und ebenso das Dogma, sich in philosophischen Spekulationen zu verlieren.
Dem wurde durch die früh einsetzende Rückwirkung anderer Brennpunkte christlichen Geistes-
lebens auf Alexandria vorgebeugt.

Die strengere juden-christliche oder doch semitische Richtung des Christentums gewinnt
in der Folgezeit auch in der alexandrinischen Gemeinde mehr und mehr das Übergewicht.
Und hier vollendet sich das Einleben der griechischen Christenheit in die gesamte Über-
lieferung der jüdischen Religion. Die Aneignung der alttestamentlichen Geschichte, der sie
anfangs fremd gegenüber stand, einer der wichtigsten Vorgänge in der Systematisierung
der christlichen Gedankenwelt, dauert durch das ganze 3. Jahrhundert fort. Es war dem
umfassenden Geiste eines Origenes (f 254) Vorbehalten, nicht nur die Ereignisse des Alten
Testaments nach der phiionischen Methode allegorischer Schrifterklärung unter dem Ge-
sichtspunkt ihrer vorbildlichen (proto-, bezw. antitypischen) Bedeutung für das Neue dem
schnell emporsteigenden christlichen Lehrgebäude einzufügen, sondern auch den gesamten
Weltlauf als Verwirklichung eines mit der Schöpfung beginnenden Heilsplanes mit ihnen zu
verknüpfen und so den Grund zu der noch bis auf den heutigen Tag fortwirkenden Welt-
anschauung des Mittelalters zu legen. Alexandria, wo das Buchwissen seit Jahrhunderten
ungestörte Pflege genoß, wurde der Ausgangspunkt der illustrierten Weltchroniken und Welt-
beschreibungen. Seine spätere Bedeutung für die christliche Kunst liegt vor allem auf dem
Gebiete der Buchmalerei. Griechischer Geist beherrscht und ordnet hier bis in die Spätzeit
die neuen Vorstellungsmassen, welche ihm der Orient mit seinem überkommenen und neu-
 
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