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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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Paret, Hans: Zur kunstgeschichtlichen Periodeneinteilung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0071
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BEMERKUNGEN. 67

Barockraumes. Wir sehen die Verschiedenheit, aber wir suchen nach dem Recht,
hier von einer Polarität zu reden. Zwar scheinen Raumaddition und Raumdivision
zwei polar gerichtete Bewegungen in sich zu schließen. Es mag auch wirklich das
konstruktive Verfahren des Architekten und selbst der psychologische Aufnahme-
prozeß des Erlebenden sich in diesen entgegengesetzten Richtungen vollziehen: rein
künstlerisch jedenfalls läßt sich nur sagen, daß die Art, wie eine Vielheit von Räu-
men und Formen zu einer künstlerischen Einheit gebunden ist, verschieden, aber
nicht polar entgegengesetzt ist. Und doch liegt Frankls Polarität ein guter Sinn
zugrunde. Nur ist es nicht eine Bewegung innerhalb des einzelnen Kunstwerks,
deren Art entgegengesetzte Richtungen zeigt, sondern dieser Richtungsumschlag ist
an der Bewegung der geschichtlichen Kurve aufzuweisen. Wie in einer mathe-
matischen Kurve alle einzelnen Punkte, wenn man sie ohne Rücksicht auf das Bil-
dungsgesetz der Kurve betrachtet, zwar eine verschiedene Lage haben, nie aber als
entgegengesetzt gerichtet angesprochen werden können, während erst bei den Kurven-
stücken von einer Bewegungstendenz die Rede sein kann, die nach Erreichung eines
Minimums oder Maximums vom Negativen ins Positive oder umgekehrt sich um-
wendet, so läßt sich auch der geschichtliche Wandel in der Komplikation des räum-
lichen Rhythmus und in der Bindung des Einzelnen unter die umfassende Einheit
als eine Kurve denken, die bei aller Stetigkeit doch ganz objektiv nach den Minima
und Maxima sich in klar geschiedene Phasen zerlegen läßt, und solch einen Punkt
müssen wir mit Frankl zu Beginn der Barockarchitektur, nicht aber zu Beginn des
Rokoko ansetzen. Was nun für den Raum gilt, das hat Frankl entsprechend für
Körperform, Bildform und Zweckgesinnung durchgeführt. Doch sei das hier nicht
mehr verfolgt, da es sich hier nur darum gehandelt hat, den brauchbaren Sinn der
Polarität für eine Einteilung geschichtlicher Phasen verständlich zu machen.

Viel eher verständlich und berechtigt scheint dagegen das Schema der orga-
nischen Entwicklung zu sein, wie es neuestens mit lehrhafter Gründlichkeit Max
Hauttmann in seiner »Geschichte der kirchlichen Baukunst in Bayern, Schwaben
und Franken 1550—1780« (1921) durchgeführt hat, aus der Überzeugung heraus,
daß alles geschichtliche Wesen aufgefaßt werden muß »unter dem Bild des orga-
nischen Wachstums«. In der Tat, dieses Bild des Wechsels von Jugend, Reife und
Alter bietet sich für die Einteilung kunstgeschichtlicher Phasen fast von selbst. Wenn
einmal der Wechsel künstlerischer Formen nicht mehr als sinnloser Wirrwarr, son-
dern als eine stetige Linie betrachtet wird, innerhalb deren jeder Punkt seine ein-
deutige Stelle einnimmt, dann wird es möglich, einen bestimmten zeitlich begrenzten
Komplex von Kunstwerken herauszugreifen und von hier aus in der zeitlichen Reihe
nach vorwärts und rückwärts zu schreiten: von dem einmal gewählten Standpunkt
aus wird das zeitlich Frühere als Vorbereitung und keimhafte Anlage, das Nach-
folgende dagegen als Übersteigerung und Auflösung erscheinen. Doch sogleich
zeigt sich die entscheidende Schwierigkeit: die unparteiische Stilbetrachtung nimmt
in künstlerischer Hinsicht alle verschiedenen Stilarten als gleichberechtigt und in
ihrer Eigenart gleich vollkommen hin und beurteilt den Stil auch nicht danach, ob
er durch wenige oder viele Werke genialer Persönlichkeiten einen höchsten Aus-
druck gefunden hat, ist nun aber gerade dadurch nicht mehr in der Lage, eine be-
stimmte Periode als Zeit der Reife anzusprechen und von diesem festen Punkt aus
die stetige geschichtliche Reihe in Frühstufe, Hochstufe und Spätstufe zu zerlegen.
Auch Hauttmann konnte das nicht gelingen, und so mußte er seine Hochstufe von
1650—1720 durch eine verhüllte dogmatische Entscheidung festlegen. Gelegenheit
dazu bot ihm Wölfflins Scheidung von Ausdruck und Form zusammen mit dem
Glauben an eine spezifisch »schöne Form«, die den anderen Formungsmöglichkeiten
 
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