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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0291
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BESPRECHUNGEN. 287

Leonardo Olschki, Geschichte der neusprachlichen wissenschaft-
lichen Literatur. I. Band. Die Literatur der Technik und der angewandten
Wissenschaften vom Mittelalter bis zur Renaissance. Heidelberg. Carl Wintersche
Universitätsbuchhandlung. 1918. 8°. XII und 460 S.
Infolge persönlicher Behinderung durch äußere Umstände mußte die von mir über-
nommene Besprechung des bedeutsamen Buches über Gebühr hinausgeschoben werden.
Nun soll die eingegangene Verpflichtung aber auch aus sachlichen Gründen endlich
erfüllt werden. Ist doch die Anteilnahme der theoretischen Kunstwissenschaft an den
hier gebotenen Untersuchungen eine sehr erhebliche, wenngleich deren Rahmen viel
weiter gespannt ist und die kritische Erörterung deshalb auf die uns nächstliegenden
Fragen beschränkt werden muß. Da sich der sprachliche Ausdruck des wissenschaft-
lichen Denkens zweifellos erst Hand in Hand mit ihm entwickelt und eine tiefe
Rückwirkung auf dasselbe ausübt, will der Verfasser die Entwicklung der neusprach-
lichen wissenschaftlichen Prosa, die bisher weder von der Philologie noch von der
Geschichtsschreibung der Wissenschaften genügend berücksichtigt worden ist, für
diejenigen Wissensgebiete verfolgen, auf denen die Forschung von der rein beschrei-
benden zur abstrahierenden Erkenntnis und von dem literarischen zum logischen
Ausdruck fortschreitet, d. h. für die mathematisch-technischen und die Naturwissen-
schaften. Die Betrachtung beginnt demgemäß bei der ersten Berührung der leben-
digen wissenschaftlichen Erfahrung mit der gelehrten (lateinischen) Überlieferung
und hat zum Endziel die Vollendung der Abstraktion bei Galilei und Descartes.
Daß zugleich als Voraussetzung der Sprachbildung Forschungsgegenstand und Me-
thode in sie mit einbezogen werden müssen, ergiebt sich aus der ganzen Frage-
stellung. An dieser Entwicklung aber hat die Theorie der bildenden Kunst dank
ihrer Herkunft aus der mittelalterlichen handwerklichen Technik und ihrer Beein-
flussung durch die humanistische Gelehrsamkeit hervorragenden Anteil, zumal in der
hier behandelten, die italienische Frührenaissance umfassenden ersten Periode.

Wie der Verfasser im 2. Kapitel über die gelehrten Schriften und die Bildungs-
quellen des Mittelalters ausführt, bleibt die populärwissenschaftliche Gelehrsamkeit
des 13. Jahrhunderts, die den aus griechischen und arabischen Quellen vermehrten
Wissensschatz des Mittelalters den Laienkreisen zu vermitteln sucht, auf das Denken
und die neuzeitliche Sprachbildung ebenso wirkungslos, wie die allegorische Dich-
tung und die kirchliche scholastische Erkenntnislehre selbst. Die ersten Regungen
selbständiger Weltbetrachtung verraten erst einzelne Traktate mehr persönlicher
Prägung, wie vor allem Dantes Convivio, gleichzeitig oder gar noch früher aber
die Werke der bildenden Kunst, und zwar zuerst der gotischen Plastik Frankreichs,
und der Pisani in Toscana. Der Kunstforscher wird hier dem Verfasser nur zu-
stimmen können, wenn dieser die Entlehnung und Nachbildung antiker Kunstformen
auch als eine Folgeerscheinung des wachsenden Wirklichkeitssinnes auffaßt, der
dann im 14. Jahrhundert in der Malerei mit Giotto zum vollen Durchbruch kommt.
Er hätte an der Hand der kunstwissenschaftlichen Literatur über das Trecento weiter-
hin leicht nachweisen können, was er kaum andeutet und geradezu verkennt, daß
in der Florentiner Schule das folgerichtige Streben nach illusionistischer Eroberung
der Erscheinungswelt seitdem nicht mehr zum Stillstand kommt. Als literarische
Frucht dieser Entwicklung aber ist uns der Traktat des Cennino Cennini vom Aus-
gang des Jahrhunderts erhalten, den Olschki leider für seine Zwecke auszuschöpfen
versäumt hat. Er hätte neben der für den wissenschaftlichen und technischen Ge-
dankenausdruck gänzlich unfruchtbaren schöngeistigen und scheinwissenschaftlichen
Literatur des aufblühenden Humanismus viel gründlichere Beachtung verdient, als
ihm erst bei seiner nachträglichen Erwähnung in einer Anmerkung (S. 38) zuteil
 
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