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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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Gneiße, Karl: Bewegung als Merkmal des Schönen bei Schiller und bei neueren Ästhetikern
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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0326
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322 KARL GNEISSE.

wieder, welche Bewegung als frei erscheine oder aus der Selbst-
bestimmung des Objekts hervorgegangen scheine. Allein, selbst wenn
Bewegung als objektives Merkmal der Schönheit unzureichend wäre, so
würde damit noch nicht gesagt sein, daß Schiller sich nicht für dieses
unzureichende Merkmal entschieden habe. Von den Gelehrten, die
später die Lehre Schillers vom Schönen ausführlicher behandelt haben,
erwähnen weder Engel (Schiller als Denker, Berlin, Weidmann 1908)
noch Kuberka (Der Idealismus Schillers als Erlebnis und Lehre,
Heidelberg, Winter 1913) die von uns angeführte Äußerung Schillers.
Tiedge aber (Schillers Lehre über das Schöne, Im Xenienverlag zu
Leipzig o. J.) sagt S. 29, daß Schiller das bejahende objektive Merkmal,
auf das er sich in seinem Briefe an Körner vom 5. Mai 1793 bezieht,
nirgends angegeben habe, weder in einem Briefe noch in einer Abhand-
lung, fährt dann aber fort (S. 30): »Vielleicht enthält eine Stelle in ,Über
Anmut und Würde' eine Hindeutung auf dieses Merkmal. Sie lautet:
Alle Schönheit ist zuletzt bloß eine Eigenschaft der wahren oder an-
scheinenden Bewegung, wie ich in einer Zergliederung des Schönen
zu beweisen hoffe.« Tomascheks Bemerkung zu diesen Worten scheint
er übersehen zu haben, ebenso Überwegs und Bergers Kritik. Was
er selbst zur Erklärung des von ihm angeführten Satzes vorbringt,
erstreckt sich auf wenig Worte: »Schiller wollte also wohl die Form,
die Linien der Technik, als Bewegung darstellen, und die Art der
Bewegung sollte erkennen lassen, ob einer Form Freiheit und damit
Schönheit zuzuerkennen sei. Vielleicht dürfen wir dabei an sein Urteil
über die Schlangenlinie denken.« Zu einer bestimmten Auffassung, was
Schiller unter Bewegung verstand^ wenn er sie als ein aller Schönheit
eigentümliches Merkmal bezeichnete, ist er demnach nicht gekommen.
So ist es zwar sicher, daß Schilller in der Abhandlung Über Anmut
und Würde Bewegung als ein allen schönen Gegenständen gemein-
sames Merkmal hingestellt und die Schönheit als eine Eigenschaft der
Bewegung bezeichnet hat. Aber eine offene Frage ist es bislang, was
er damit meinte; desgleichen, ob Bewegung das bejahende, objektive
Merkmal ist, das er auf Körners Einwände gegen die Ausführungen
in den Kalliasbriefen gesucht hat und nach dem Briefe vom 5. Mai 1793
gefunden zu haben glaubte.

Schiller unterscheidet in der Abhandlung Über Anmut nnd Würde
zwei Arten der Schönheit des Menschen, die Schönheit des Baues
und die Schönheit der Bewegungen. Die letztere ist nach seiner An-
sicht das, was man allgemein Anmut nennt. Die Anmut äußert sich
in Bewegungen, das Wort im gewöhnlichen Sinne genommen, in dem
es Orts- oder Lageveränderung bedeutet. Wir nehmen sie z. B. wahr,
wenn eine Person schön tanzt. Von solchen Bewegungen ist also die
 
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