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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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Schmarsow, August: Komposition
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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0111

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Bemerkungen.

Komposition.

Von

August Schmarsow.

»Komposition« — sagte Goethe einmal zu Eckermann —, »ein ganz nieder-
trächtiges Wort, das wir den Franzosen zu danken haben, und das wir so bald wie
möglich wieder los zu werden suchen sollten. Wie kann man sagen, Mozart habe
seinen Don Juan komponiert! Komposition, — als ob es ein Stück Kuchen
oder Biskuit wäre, das man aus Eiern, Mehl und Zucker zusammenrührt.«

Das ist in der Tat eine Auslegung des Fremdwortes, die überraschend niedrig
greift, indem sie, statt an unseren Komponisten, vielmehr an den Konditor denkt,
den die Franzosen doch *confiseuri. nennen, und an dem Werke der höheren Koch-
kunst gerade das mixtum statt des compositum hervorhebt, d. h. das bescheidene Zu-
standekommen des Teiges, statt des lockenden Anblicks einer Streiftorte aus Bis-
kuitscheiben mit Eiercreme oder Fruchtmarmelade, mit ihrem Zuckerguß und buntem
Belag aus gefärbtem Obst darauf. Und fragen wir, wie Goethe an der Hand des
Französischen dazu gekommen sei, so bleibt uns außer der Mischung oder dem
Mischprodukt kaum noch *le compotier<, die Kompottschale, oder sonst die Erinne-
rung an die italienische -zcomposta di frutta* übrig, die sich gerade das Zusammen-
rühren erspart, mit dessen Vorstellung der Dichter abschrecken will, weil der Ver-
gleich mit solchem Handwerk ihn selber verletzt. Lag es in Goethes letzten Jahren
wirklich so nahe, dem Komponieren der Franzosen einen so »niederträchtigen«, oder
wie wir sagen würden: herabsetzenden Sinn unterzulegen, so stünden wir angesichts
dieses Zeugnisses, das Eckermann überliefert, vor einer Tatsache der Sprachgeschichte,
die uns zum Bewußtsein bringt, daß wir heute, hundert Jahre später, weit davon
entfernt sind, dem völlig eingebürgerten Lehnwort nur seine niedrigste Bedeutung
beizumessen, und daß wir den Grund des Widerwillens bei dem sonst dem Französi-
schen gegenüber recht duldsamen Meister der deutschen Sprache durchaus nicht mehr
mitempfinden oder für uns zum Beweggrund einer Entwelschung machen könnten.

Aber Goethe begnügte sich nicht mit seinem Verbot oder einer launigen Ver-
spottung, sondern erklärt seine eigene Meinung ausführlicher und bietet einen Vor-
schlag zur Verbesserung der Ausdrucksweise an. Was will er statt des Getadelten
angesichts einer Oper Mozarts oder irgend eines Tonwerks wie Don Juan anerkannt
wissen?— »Eine geistige Schöpfung ist es, das Einzelne wie das Ganze aus
einem Geiste und Guß und von dem Hauche eines Lebens durchdrungen,
wobei der Produzierende keineswegs versuchte und stückelte und nach Willkür ver-
fuhr, sondern wobei der dämonische Geist seines Genies ihn in der Gewalt hatte,
so daß er ausführen mußte, was jener gebot.« Da jubeln wir gewiß dem Haupt-
inhalt der Mahnung dankbar entgegen. Aber bei der zweiten Hälfte des Satzes regt
sich wieder die Verwunderung, weshalb denn »komponieren« eben gerade ein Ver-
suchen oder Herumprobieren, ein Stückeln und nach Willkür Verfahren bedeuten
 
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