Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

DOI Artikel:
Herrmann, Gustav: Verlust und Wiederkehr der künstlerischen Farbenausdrucksfähigkeit während einer akuten Geistesstörung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0340
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
VERLUST U. WIEDERKEHR D. KÜNSTLER. FARBENAUSDRUCKSFÄHIGKEIT. 337

speziell auseinandersetzen zu müssen. Im allgemeinen versteht man
ja darunter die Verminderung der Weiß- und Vermehrung der Schwarz-
komponente, wodurch eine Verschleierung, eine Unbestimmtheit und
Feinheit der Farbtöne erzielt wird.

Das Zurücktreten der Gelb- und Rotkomponente ist analog dem
Sehen im Dunkeln. Eine gewisse Größe der Lichtintensität muß jedes
Objekt besitzen, wenn es überhaupt als farbig erkannt werden soll.
Aber die Farben treten sehr bald deutlich hervor, wenn die Beleuch-
tung stärker wird und zwar zuerst die blauen Töne, zuletzt die roten
und gelben. Ganz so verhält sich unser Maler. Es ist in der
geistigen Umnachtung mit dem Farbenausdruck ähnlich wie bei der
wirklichen Nacht mit dem Farbensehen. Doch ist das letztere nicht
wörtlich zu nehmen, sondern ein Vergleich: Denn beim Farbensehen
handelt es sich um etwas Peripheres, beim Farbenausdruck um etwas
Zentrales; da wir aber auch die zentralen Farbenempfindungen bei
ihm als ungestört annehmen dürfen (Farbenbezeichnungen waren immer
richtig), so müssen wir einen übergeordneten zentralen Mechanismus
annehmen, der schon weit in das Psychische hineinreicht. Der Künstler
gibt das Weltbild so, wie es sich ihm innerlich darstellt, wobei alle
peripheren Funktionen vollständig intakt sein können.

Damit nicht der Gedanke aufkommt, es handle sich im vorstehen-
den um eine Fehlbeobachtung, in dem Sinne, wie z. B. die blauen
Pferde der altassyrischen Mosaikmalerei (die bekanntlich keine ent-
sprechende feuerbeständige Farbe zur Verfügung hatte), will ich noch
hinzufügen, daß während der ganzen Zeit des Aufenthaltes in der
Klinik einerseits das Farbenmaterial, mit dem der Künstler arbeitete,
immer das gleiche und anderseits jeder äußere Einfluß so gut wie
ausgeschlossen war. Außer einigen illustrierten Zeitschriften hatte er
keine Eindrücke, die sein künstlerisches Schaffen beeinflussen konnten.

Anmerkung: Nach einer zwischen dem Verfasser und dem Verleger ge-
troffenen Vereinbarung unterbleibt die Wiedergabe der Bilder wegen der zu hohen
Kosten.

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XVIII. 22
 
Annotationen