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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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Spitzer, Hugo: Apollinische und dionysische Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0222

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218 HUGO SPITZER.

die ästhetischen Gefühle bei den Affekten unterzubringen, da dies
doch nicht möglich ist, ohne den Affektbegriff selber innerlich zu
transformieren? Diesen Fragen kann man nicht ausweichen. Denn
es ist klar, daß sich, falls jenem instinktiven Urteil zu trauen wäre,
die Art der Inhaltsumprägung bei eindringender Analyse genau müßte
festsetzen lassen, und es ist nicht minder klar, daß das Aufgeben der
früheren Konzeption eine ernste Rechtfertigung erheischt. Denjenigen,
welche eine Reform in der Psychologie durchzuführen beabsichtigen,
obliegt die Pflicht, diese Reform zu begründen; anderenfalls würden
sie sich dem Vorwurfe der Willkür, des leichtfertigen, mutwilligen
Verlassens der wissenschaftlichen Überlieferung aussetzen. Fordert nun
die Ausdehnung der Begriffssphäre wirklich auch eine inhaltliche Um-
gestaltung, so muß gezeigt werden, daß der neue Begriff besser ist
als der alte, mit dem man bis jetzt allem Anschein nach recht gut das
Auslangen gefunden hat; es muß für jenen ein größeres Maß von
Tiefe, Schärfe oder praktischer Brauchbarkeit, kurz irgend eine Art von
Überlegenheit nachgewiesen werden. Wäre aber die dunkle Intuition,
nach welcher die Umfangserweiterung eine Umwandlung des Inhaltes
zur Voraussetzung hat, trügerisch, bedürfte es also keiner Entfernung
gewisser Merkmale aus der Affektvorstellung, auch keiner etwaigen
Ersetzung derselben durch andere, um die Neuerung als motiviert er-
scheinen zu lassen, so müßte man im stände sein, zu erklären, wie
es kommt, daß die Charaktere, durch die nach wie vor jeder Affekt,
jede Gemütsbewegung bestimmt ist, an den ästhetischen Emotionen
so lange Zeit übersehen wurden.

Diese Kennzeichnung der Sachlage enthüllt auch schon die ganze
Schwierigkeit des Unternehmens, innerhalb der Grenzen, welche das
erste Stück dieser Studie abgesteckt hat, das Verhältnis von Affekt
und ästhetischem Gefühl zu ermitteln. Bei raschem Hinsehen möchte
man sogar geneigt sein, alle auf dieses Ziel gerichteten Bemühungen
für vergeblich und töricht zu halten, so lange die freiwillig gesetzten
Schranken nicht entfernt werden. Indem nämlich bei Einhaltung dieser
Grenzen jede Antwort auf die zuvor erhobenen Fragen sozusagen
grundsätzlich verweigert werden muß, türmt sich ein Hindernis auf,
das wohl niemand übersehen wird und das gar manchem als unbe-
siegbar erscheinen könnte. Der Affektbegriff mit dem in ihm liegen-
den negativen Merkmale, daß er die Empfindungsgefühle ausschließt,
wurde ja nach ausdrücklichem Geständnis gleichsam auf Treu und
Glauben hingenommen; von einer selbständig begründeten Definition
wurde abgesehen als von einem viel zu weit führenden und mit der
Hauptaufgabe dieser Untersuchungen, soweit dieselben einen gewissen
Raum doch nicht überschreiten dürfen, unverträglichen Geschäfte; es
 
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