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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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Spitzer, Hugo: Apollinische und dionysische Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0251

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APOLLINISCHE UND DIONYSISCHE KUNST. 247

gelegentlichen Zusammenfallens der ästhetischen Emotionen und der
allverbreiteten Formalgefühle — eines Zusammenfallens, das sonst allein
schon die Sache vollkommen klären, die Annahme einer besonderen
Gattung ästhetischer Affekte endgültig widerlegen würde. Sach- und
Personenaffekte wie Formalgefühle haben allerdings ihr eigenes ästhe-
tisches Moment, ihren ästhetischen Koeffizienten; sie tragen mit diesem
direkt zur künstlerischen Befriedigung bei; aber sie sind, falls die Be-
friedigung eine wahrhaft ästhetische zu heißen verdient, doch nur Be-
standteile eines komplexen psychischen Gebildes, welches auch nach
der repräsentativen Seite mehr enthält als die zur Affektproduktion
schlechterdings unentbehrlichen Stücke, in welchem vielmehr neben
den eigentlichen Voraussetzungen für die Gemütsbewegungen zugleich
noch die Voraussetzungen für spezifisch ästhetische Gefühle, für die
Lust am sinnlich Schönen und am Charakteristischen, in Form anschau-
licher Bewußtseinselemente gegeben sind. Wie will man sich nun ohne
umständliche Untersuchung vergewissern, daß nicht in jedem einzelnen
Falle, wo eine ästhetische Wirkung erzielt wird, diese allgemeinen
Voraussetzungen kraft ihrer besonderen Gestaltung wirklich zu Ur-
sachen der einen oder anderen Anschauungslust werden? Hat man
also ein Recht, in Gemütsbewegungen, welchen ein ästhetischer Effekt
zugeschrieben werden muß, auch wahre, vollständige ästhetische Ge-
fühle zu sehen? Ist jener Effekt nicht vielleicht immer bloß ein Teil-
effekt? Gehört zur Totalität des ästhetischen Gefühls außer der Affekt-
regung nicht noch eine andersartige Emotion als wesentlicher und un-
erläßlicher Bestandteil? Das ist der Punkt, bis zu welchem der Gang
der Betrachtungen und Ideenentwickelungen vorläufig geführt hat.

Mit den soeben aufgeworfenen Fragen wurde scheinbar ein Rück-
zug angetreten; in Wahrheit aber bedeutet die Stellung des Problems
nicht eine Verleugnung oder Preisgebung, sondern nur eine schär-
fere Bestimmung der zuvor gewonnenen Einsichten. Gesetzt, die
ästhetische Affektfunktion bedürfte wirklich der Mitwirkung anderer
Gefühle und vollzöge sich nur in Gemeinschaft der letzteren, so bliebe
trotzdem die Unmöglichkeit bestehen, die ästhetischen Emotionen als
eine besondere Klasse von Gemütsbewegungen den anderen Affekt-
typen an die Seite zu stellen. Nichts ist ja gewöhnlicher als eine
Verbindung von Gefühlen. Gemäß der Natur der einzelnen Emo-
tionen sind in unzähligen Fällen die Bedingungen für ein gleich-
zeitiges Hervortreten mehrerer Gefühle oder für eine derartige Modi-
fikation eines bestimmten Affektes vorhanden, daß er, ohne selber
zu verschwinden, auch noch die Gestalt einer anderen Gemütsbewe-
gung annimmt. Das formale Erwartungsgefühl vereinigt sich mit den
Affekten der Furcht und der Freude zu banger und freudiger Er-
 
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