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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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Reid, Thomas: Über den Geschmack
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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0353
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ÜBER DEN GESCHMACK. 349

Liebling, oder ein vernarrter Schriftsteller in seinem Werk, Schönheiten,
für die die übrigen Menschen blind sind. In solchen Fällen ist die
Affektion voreingenommen und besticht sozusagen das Urteil, das
Objekt dieser Affektion würdig erscheinen zu lassen. Denn der Geist
kann nicht leicht auf ein Objekt einen Wert legen über das Maß dessen
hinaus, was er als gebührend erkennt. Wenn die Affektion nicht durch
eine natürliche oder erworbene Neigung fortgerissen wird, wird sie
naturgemäß geleitet und sollte sie geleitet werden durch das Urteil.

Anmerkungen.

*) Die hier mit starken Kürzungen wiedergegebene Abhandlung Th. Reids bil-
det den VIII. Essay der Schrift »O« the intelleclual powers of man«, 1785. Im
Jahre 1788 erschienen die »Essays ort the active powers of the human mind«. Diese
beiden Schriften bilden ein großes Werk, zu dem das »Inquiry Mo the human
mind« (1764) als Einleitung angesehen werden kann. Th. Reid war im Jahre 1710
geboren, also 75 Jahre alt, als er die vorliegenden Gedanken über Ästhetik nieder-
schrieb. Ich zitiere nach der Ausgabe seiner Werke von Hamilton, 6. Auflage 1863.
Ihr ist vorausgeschickt ein »Account of the life and writings of Thomas Reid« von
Dugald Stewart. Reids Werke wurden ins Französische übersetzt von Theodore
Jouffroy, 1828—1835. In der Einleitung findet man eine Darstellung der Grundzüge
der schottischen Philosophie sowie eine Zusammenstellung der Vertreter der
schottischen Schule. — In deutscher Übersetzung liegt bis jetzt nur vor das »/«-
quiry«, 1782. Kurze Anhaltspunkte zur Orientierung über die Ästhetik des 18. Jahr-
hunderts entnimmt man bequem William Knights »Philosophy of the Beautiful,
being outlines of the History of Aesthetics«, London 1895, Bd. I. Von Reid sagt
der Verfasser: »Im ganzen genommen haben wir in Reid eine sonderbare Mischung
von scharfer Einsicht, begrenzt durch den Horizont schottischer Idiosynkrasie, mit
vager Plattheit. Bisweilen scheint er die wahre Verkörperung des Gemeinplatzes,
und ein andermal finden wir wieder Weite, Vertiefung und Blitze von wirklicher
Einsicht, die seine Untersuchung wertvoll machen.« (Vgl. Anm. 9.) Es ist hier
nicht der Raum, über seine Persönlichkeit viel zu sagen. »Sein Leben wurde zuge-
bracht«, wie Stewart sagt, »im Dunkel gelehrter Zurückgezogenheit. Er war nicht
ehrgeizig und kümmerte sich wenig um literarischen Ruhm.« Nach seiner eigenen
Aussage besteht sein ganzes Verdienst als Philosoph in der entschiedenen Befol-
gung der Baconschen Methode (vgl. Anm. 12) und nicht in der Überlegenheit durch
irgend eine Erfindungsgabe. Auf die Palme des sogenannten Genies verzichtete
Reid zu Gunsten der Gründer der Systeme, die er zu bekämpfen sich vorgenommen
hatte. Aber ein moderner Kenner bemerkt: »Wie es zu viele gibt, die weiser er-
scheinen wollen als sie wirklich sind, so war es der ungewöhnlichere Fehler Reids,
weniger Philosoph zu scheinen als er wirklich war.« (A. Campbell Fräser, Thomas
Reid. Famous Scots Series. Edinburgh and London, 1898, S. 131.) — Eine ein-
gehende Würdigung Reids finde ich nur bei Max Dessoir, Ästhetik und allgemeine
Kunstwissenschaft, Stuttgart 1906, S. 17 ff. Herrn Professor Dessoir verdanke ich
auch die Anregung zur Beschäftigung mit diesem Philosophen.

2) An anderen Stellen betont R. allerdings, daß selbst für das populäre Bewußt-
sein die Eigenschaft des Körpers mit der Empfindung, die sie im Geiste des Men-
schen verursacht, nicht verwechselt werde, obwohl sie denselben Namen führe.
Der Sprachgebrauch bezeuge, daß der Name der (sekundären) Eigenschaft stets
 
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