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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 2.1907

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Münzel, Gustav: Das Problem der dritten Dimension in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3530#0221
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IX.

Das Problem der dritten Dimension in der Kunst.

Von

Gustav Münzel.

In einer geistreichen Arbeit über die dritte Dimension in der Kunst
legt Simmel1) seinen Ausführungen die Behauptung zu Grunde, daß
der Malerei die Darstellung des Dreidimensionalen nicht wesentlich sei.
Wenn die Malerei die dritte Dimension nun doch in ihren Bereich
ziehe, so müßten wir nach einer Ursache für diese Erscheinung suchen.
Negativ könne man sagen, daß die Ursache nicht in der Annäherung
des Kunstwerks an die Wirklichkeit liege, da bei der starken Um-
bildung und Vereinfachung des Natureindrucks zum Bildeindruck das
Hinzukommen eines Wirklichkeitsmomentes nicht an sich als künst-
lerisch wertvoll angesehen werden könne. Vielmehr müsse die wirk-
liche Ursache tiefer gesucht werden; sie liege in der Qualitätsänderung
der Tiefendimension, die sie bei ihrer Übersetzung von der Wirklichkeit
in das Bildwerk durchmache. Denn in der Wirklichkeit gehöre die
Tiefendimension zu dem Bereich des Tastsinns, während das Auge
auf die Erfassung des Zweidimensionalen der Fläche beschränkt sei.
Nur durch die Erfahrung unserer Wahrnehmungstätigkeit, bei der die
verschiedenen Sinnesempfindungen wie Augen- und Tastsinn zur Her-
vorbringung des Gegenstandes zusammenwirken, könne es geschehen,
daß das Auge gewissermaßen an die Stelle des Tastsinns trete, indem
es ohne weiteres die dritte Dimension zu sehen glaube. Allein dabei
bleibe immer bestehen, daß ein Zurückgehen vom Augensinn zum Tast-
sinn prinzipiell möglich sei, so daß das dreidimensionale Sehen in Wirk-
lichkeit stets einen stellvertretenden Charakter behalte. — Ganz anders
verhalte es sich mit der dritten Dimension in der bildenden Kunst.
Hier sei die dem Auge in Wirklichkeit nicht zugängliche dritte Dimen-
sion in einen Anschauungswert umgebildet, die Tiefendimension werde
direkt dem Auge zugewiesen und dem Bereiche des Tastsinns gänzlich
entzogen. Hierdurch erhalte nun im Bildwerk das Auge einen neuen
Geltungsbereich gegenüber der Wirklichkeit, so daß die Anschauung
dadurch tiefer und ausgreifender werde. — Wie jede Kunst unter der

') In dieser Zeitschrift, I.Jahrgang, Heft 1, 1906.
 
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