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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 2.1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.3530#0418
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414 KARL SIMON.

Anjou gegenüber; letzteres freilich in seinem französischen Ursprung
nicht unbestritten.

Aber in den Niederlanden wie in Deutschland eine ausgesprochene
Abneigung gegen das Profilporträt, das in dem Italien des Quattro-
cento eine so bedeutsame Rolle spielt. Und was für das Einzelbildnis
gilt, gilt auch für das Oruppenbildnis: in Italien auf Assistenzbildern
Reihen von Profilbildnissen. In Deutschland wird immer gern der
Kopf noch ein wenig nach dem Beschauer gewendet, so daß mög-
lichst beide Augen erscheinen. So in dem Votivbilde des Bürger-
meisters Ulrich Schwarz von Holbein d. Ä. (1508), wo unter etwa
35 Dargestellten, die links und rechts knien, kaum acht im Profil ge-
geben werden; noch deutlicher in der Familie des Christoph von Baden
von Hans Baidung, wo von 17 Personen kaum zwei im hintersten
Hintergrunde als Profile auftreten. In den figürlichen Kompositionen,
wo keine Porträtähnlichkeit erstrebt ist, kommt das Profil natürlich
vor, aber oft scheint sich doch auch hier ein gewisses Widerstreben
dagegen geltend zu machen. So schon in Stephan Lochners Kölner
Dombilde, wo es unter den etwa 28 Anbetenden nur zwei Profile
gibt. Der Gegensatz gegen Italien zeigt sich auch hierin, und er ist
wichtig genug.

Der Hauptgrund für die italienische Auffassung wird die Vorliebe
für die klare Räumlichkeit in dem Aufbau der Gestalt sein, die Vor-
liebe für ihre reliefmäßige Anschauung, das plastische Interesse. Die
deutsche und die niederländische Kunst interessiert mehr das »Male-
rische«; sie begnügt sich nicht mit dem einem Verzicht auf die dritte
Dimension nahekommenden Profil, sondern sie verwendet in ausge-
dehntem Maße Verkürzung, Modellierung und Perspektive, um den
Schein der dritten Dimension recht nachdrücklich zur Geltung zu
bringen; sie interessiert die Eroberung auch der Tiefe. Es ist kein
Zufall, daß die italienische Kunst dem Jan van Eyckschen Bilde des
Arnolfini mit seiner Gattin nicht auch nur Annäherndes zu gleicher
Zeit zur Seite zu setzen hat. Der Drang in die Tiefe, das Bedürfnis,
den umgebenden Raum zugleich mit dem Porträtierten darzustellen,
erlebt hier eine ungemessene Befriedigung; derselbe Drang waltet
aber, wenn auf den deutschen Kupferstichbildnissen der Dreiviertel-
ansicht ein Fenster, ein Blick ins Freie als Hintergrund gegeben wird.

Vom 16. Jahrhundert an häuft sich dann das Material zu einer
Fülle, die kaum zu übersehen ist. Nur eine auffallende Periode sei
noch kurz erwähnt, die letzte Zeit des 18. Jahrhunderts und das erste
Viertel des 19. Jahrhunderts mit einer weitgehenden Vorliebe für das
Profil, die sich in der Pflege der Silhouette am prägnantesten aus-
spricht. Die Liebe zur Kontur, zur Zeichnung, zur Abstraktion im
 
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